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Rezension - Heinrich Schliemann nach hundert Jahren
Heinrich Schliemann nach hundert Jahren
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Vittorio Klostermann
Frankfurt / Main 1990
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ISBN: 3-465-02266-1
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Heinrich Schliemann nach hundert Jahren
Es stimmt, nicht alles, was über Heinrich Schliemann jemals veröffentlicht worden ist, muß auch gelesen werden, nicht alles, was die Person Schliemanns betrifft, muß von Interesse sein, weder für den Archäologen, noch für denjenigen Leser, der sich für außergewöhnliche Figuren interessiert. Zu vieles wurde schon gesagt, bemängelt und richtiggestellt. Dennoch gelingt es Autoren immer wieder, das Altbekannte in neues Licht zu setzen und den Leser zu verblüffen.
Die vorliegende Festschrift für Harald Patzer ist eine interessant gestaltete Mischung von Aufsätzen zur Person Schliemanns, seiner Selbstdarstellung und seiner Leistung als "Entdecker Trojas". Heinrich Schliemann gehört in die Reihe von merkwürdig schillernden Figuren, wie sie nur das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat und zu denen Karl May, Nietzsche und Wagner ebenso gehören, wie Ludwig II. Diese Figuren hatten vor allem Eines gemeinsam:
Sie verstanden es glänzend, sich selbst auf eine Weise zu inszenieren, die weder vor plumpen Fälschungen noch vor Geschmacklosigkeiten zurückschreckte. Die eigene Person sollte in einem durchweg unwahrscheinlichen, genialen Licht erscheinen: das eigene Leben als Kunstwerk. Dahinter steckte oft die Angst vor Mittelmäßigkeit, die Angst vor der eigenen kleinbürgerlichen Herkunft oder dem Absinken in die Bedeutungslosigkeit, manchmal war es wohl auch einfach Irrsinn und Größenwahn, der diese Männer trieb. Nicht zuletzt spielte auch die stete Mühe eine Rolle, Rücksichtslosigkeiten gegen Frau, Familie, Freunde und sich selbst mit hehren Zielen zu rechtfertigen. Bei Schliemann war es die große Lebenslüge, von Kindheit an nur auf die Entdeckung Trojas zugesteuert zu haben.
Das stellen einige der Autoren auf eindrucksvolle Weise heraus. Vor allem Stefan Goldmann und Alexander Demandt treffen sowohl sprachlich als auch inhaltlich den richtigen Ton, um das überladene, sentimentale in Schliemanns Leben zu demaskieren und zurück auf den Boden zu stellen. Dabei tun sie der Hauptfigur wohl kein Unrecht, wenn sie mit modernen Methoden an ihren altertümelnden Gegenstand herantreten und aus der Sprache Schliemanns, aus seinem Briefwechsel mit Wolfgang Helbig und aus seiner Autobiographie Erkenntnisse ziehen, die Schliemann eben mit dieser Autobiographie verschleiern und retouchieren wollte. Diese beiden Beiträge sind neben dem von Helmut Scheuer am vergnüglichsten zu lesen.
Erwähnenswert sind auch die Illustrationen am Ende des Bandes, die man vor allem nach dem Beitrag von Harold Hammer-Schenk mit anderen Augen sieht, denn hier erfahren wir, warum wir es gewohnt sind, Abbildungen der griechischen Antike häufig als schwarz-weiße Umrißzeichnungen zu sehen. Eine Sache jedoch fehlt dem Band, und das ist eine Chronologie zu Schliemanns Leben. Aus den Beiträgen selber gehen diese Daten natürlich hervor, jedoch wäre ein zeitlicher Überblick eine gute Ergänzung zu dem ansonsten vorbildlichen Apparat gewesen.
Festschriften haben immer den besonderen Reiz, daß die einzelnen Beiträge so locker sie auf den ersten Blick verbunden zu sein scheinen, doch immer wieder zu bestimmten gemeinsamen Schnittpunkten zurückkehren und man somit nicht nur das Hauptthema, sondern auch die Hauptberührungspunkte des Hauptthemas mit anderen Bereichen kennenlernt - fast wie in einer Fuge. Das ist im vorliegenden Band sehr schön zu sehen. Die Reihenfolge der Beiträge ist sinnvoll, so daß der Leser einfach mitgehen kann.
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