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Gliederung

 

 

1. Verbot verfassungsfeindlicher Glaubensgemeinschaften - Themenstellung und Einleitung

 

2. Verbot verfassungsfeindlicher Glaubensgemeinschaften

 

2.1 Verbotsmöglichkeiten des Grundgesetzes

2.1.1. Die "wehrhafte Demokratie" des Grundgesetzes

2.1.2. Verbot verfassungsfeindlicher Gruppen

2.1.2.1 Verbot von verfassungsfeindlicher Vereinigungen, Art. 9 II GG

2.1.2.2. Spezialregelung für verfassungsfeindliche Parteien, Art. 21 II GG

2.1.2.3. Fehlende Spezialregelung für Verbot verfassungsfeindlicher Religionsgemeinschaft

2.1.2.3.1 Der grundrechtliche Schutz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus Art. 4 iVm. Art. 140 GG und 137 WRV

2.1.2.3.2 keine Verbotsmöglichkeit aus dem GG

2.1.2.3.3 Analoge Anwendung des Art. 18 GG

2.1.2.3.4 Schrankenübertragung aus Art. 2 I GG und 5 II GG

2.1.2.3.5 grundrechtsimmanente Schranken des Art. 4 GG

2.1.2.3.6. Verbot aus Art. 9 II GG

2.1.2.3.7 Notwendigkeit einer gesetzlichen Konkretisierung des Art. 9 II GG

2.2 Ergebnis

 

3. Zur Einordnung der Scientology Church (SC): Vereinigung oder Religionsgemeinschaft?

 

3.1 Vorbemerkung zur Einordnungsproblematik

3.2 Zur Einordnung der SC in Literatur und Rechtsprechung

3.2.1 Positionen für eine enge Auslegung des Art. 4 GG in der Literatur

3.2.2. Positionen für eine weite Auslegung des Art. 4 GG

3.2.3 Diskussion, Bewertung

3.2.4 Die Rechtsprechung zu Scientology bzgl. Religions-Status und der Frage des religiös getarnten Wirtschaftsunternehmens

3.2.5. Verfassungsfeindlichkeit als Ausschlußgrund des Schutzbereiches Art. 4 GG

 

3.3 Abschließende Bewertung - für eine weite Auslegung des Schutzbereiches Art. 4 GG in bezug auf den Status als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft

 

4. Voraussetzungen für das Verbot verfassungsfeindlicher Glaubensgemeinschaften

 

4.1 Verfassungsfeindlichkeit im Licht des Art. 4 und 9 II GG

4.1.1 kriminelle Vereinigung

4.1.2 verfassungsfeindliche Bestrebungen

4.1.3 Verstoß gegen den Völkerfrieden

4.2 Ergebnis

 

5. Gesellschaftliche Auseinandersetzung mit SC anstatt Verbotsdiskussion - abschließende Bewertung

 

 

 

 

Literaturverzeichnis

 

 

Kommentare

 

Dolzer. Rudolf (Hg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 79. Lieferung, Heidelberg, März 1997 (zitiert: BK)

 

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Leibholz, Gerhard/Rink, Hans-Justus/Hesselberger, Dieter: Kommentar zum Grundgesetz, 30. Ergänzungslieferung, Köln 1996 (zitiert: Leibholz)

 

Maunz, Theodor/Dürig, Günther/Herzog, Roman/Scholz, Ruppert (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, 32. Ergänzungslieferung, München, 1996 (zitiert: M/D)

 

Schmidt-Bleibreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, Bonn 1980

 

Schnorr, Gerhard: Öffentliches Vereinsrecht, Köln 1965

 

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Lehrbücher

 

Badura, Peter: Staatsrecht, 2. Auflage, München, 1996

 

Pieroth /Schlink: Grundrechte - Staatsrecht II, 10. Auflage, Heidelberg, 1994

 

Stein, Ekkehart: Staatsrecht, 12. Auflage, Tübingen, 1990

 

 

 

Bücher, Dissertationen

 

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Fischer, Erwin: Volkskirche ade! Trennung von Kirche und Staat, 4. Auflage, Berlin - Aschaffenburg, 1993

 

Haak, Friedrich Wilhelm: Jugendsekten, Weinheim,1991

 

Hartwig, Renate: Sientology - ich klage an!, Heidelberg, 1994

 

Minhoff, Christoph/Müller, Martina: Scientology. Irrgarten der Illusionen, Sonderdruck für die Landeszentrale für politische Bildung und die Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg, München 1994

 

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Rudroff, Natalie: Das Vereinsverbot nach Art. 9 Abs 2 GG und dessen verwaltungsrechtliche Auswirkungen, Diss. jur., Köln ,1995

 

Schwer, Thomas: Die Heilsversprecher. Der Kampf der Sekten um die Seelen, München, 1996

 

Spieldiener, Bernhard: Weltanschauung und Weltanschauungsgemeinschaften im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Diss. jur., Freiburg 1990

 

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Aufsätze, Zeitungs- & Zeitschriftenartikel, Sonstige Literatur

 

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Alberts, Hans: Das Verbot von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften, ZRP 1996, S. 60 - 64

 

Alberts, Hans: Es darf geholzt werden, SZ 26.4.97, Feuilleton-Beilage, S. 3

 

Beckstein, Günther: "Scientology an der Grenze zur organisierten Kriminalität", Interview, SZ 31.8.96

 

Branahl, Matthias/ Christ, Angelika: Scientology. Anmerkungen für die wirtschaftliche Praxis, Beiträge zur Gesellschafts- und Bildungspolitik 3/94, Hrsg. Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln, 1994

 

Bündnis 90/Die Grünen - Bundestagsfraktion: Seelentröster, Sinnstifter, Ausbeuter?, Scientology, "Sekten" und religiöse Gemeinschaften, Flugblatt, Berlin, März 1997

 

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg: Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft. Scientology-Organisation (mit Anlage: Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Scientology über die Aktivitäten der Scientology-Organisation), Drucksache 15/4059

 

Dartevelle, Partrice: "Gute" Religionen gegen "böse" Sekten, aus: Ketzerbriefe Nr.72, Mai 97, S. 43 - 47

 

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Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Die Scientology-Organisation. Methoden und Struktur, Rechtsprechung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Köln, Februar 1997

 

Müller-Volbehr, Jörg: Neue Minderheitenreligionen - aktuelle verfassungsrechtliche Probleme, JZ 1981, S. 41-49

 

Ott, Sieghart: Zur politischen Betätigung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften, DÖV 1971, S. 763 - 765

 

Planker, Markus: Das Vereinsverbot - einsatzbereites Instrument gegen verfassungsfeindliche Glaubensgemeinschaften?, DÖV, 1996, S.101-109 (zitiert: Planker, DÖV 1996)

 

Rampp, Gerhard: Scientology und die Religionsfreiheit, Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) 4/96, S. 25 -28

 

Regensburger, Hermann: Kurzbericht von Herrn Staatssekretär Regensburger vor dem Innenausschuß des Bayerischen Landtags am 05.12.95 zum Maßnahmenkatalog gegen Scientology, Kopie

 

Riehl-Heyse, Herbert: "Der Maler und seine Hydra", SZ 8.8.96

 

Schatzenschneider, Wolfgang: Rechtsordnung und "destruktive Kulte", BayVerwBl. 19985, S. 321-327

 

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Schmidt, Carsten: Eintragung "religiöser Wirtschaftsvereine", NJW 1988, S. 2574 -2578

 

Schütte, Frank: Wer diskriminiert wen? Zum Streit über Sientology, aus: Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) 3/96, S. 28

 

Sekten-Info Essen e.V.: Trends der aktuellen Sektenszene, Jahresbericht 1996, Essen, März 1997

 

Sektendebatte im Badenwürtischen Landtag, Protokollauszüge, aus: Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) 4/95, S. 35 - 41

 

Solte, Ernst-Lüder: Die staatliche Neutralitätspflicht gegenüber den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit besonderer Berücksichtigung der Sektenproblematik, in: Evangelische Akademie Bad Böll, u.a.: Protokolldienst 7/97: Staat und Kirche, Recht und Religion. Tagung vom 4. bis 6. Oktober 1996, Bad Böll, o.J., S. 13 - 34

 

SPD-Bundestagsfraktion/ Katrin Fuchs (Hg.): Dokumente: Sekten und Psychogruppen. Informations- und Diskussionsveranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion am 13.3.1996, Bonn, November 1996

 

Spürck, Dieter: Die "Scientology-Organisation" in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte, in: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Die Scientology-Organisation. Methoden und Struktur, Rechtsprechung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Köln, Februar 1997, S. 47 - 80

 

Steiner, Udo: Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), JuS 1982, S. 157 - 166

 

Stephan, Rainer: Der Sog der Sekten, SZ 9.4.96

 

von Camphausen, Axel: Religiöse Wirtschaftsbetriebe als Idealvereine?, NJW 1990, S. 887 - 888

 

von Münchhausen, Thankmar: Freiheitsstrafe im Scientology-Prozeß, FAZ 25.11.96

 

Würtenberger jun., Thomas: Zur Interpretation von Art. 4, 9 und 140 GG i.V.m- Art- 137 WRV, ZevKR, S. 67-79

 

 

 

1. Verbot verfassungsfeindlicher Glaubensgemeinschaften - Themenstellung und Einleitung

 

Seit Jahren warnen die Kirchen, Politiker, Sektenbeauftragte, Betroffene und Journalisten vor den Gefahren, die von der sogenannten Scientology Church ausgehen sollen. Die Aufklärungsarbeit über diese "Sekte" - wie ihre zahlreichen Gegner sie oft betiteln - mündet in zahlreichen Verbotsforderungen. Das Land Bayern verweigert Mitgliedern der Scientology Church (SC) die Aufnahme in den öffentlichen Dienst, viele Kommunen schließen sich an. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei gefährdet. Andere sehen eine Hetzjagd gegen eine religiöse Minderheit durch staatliche Stellen. Die USA haben offiziell bei der Bundesregierung gegen die Behandlung der Scientologen protestiert. Dort gelten die Scientologen als Religionsgemeinschaft, während das Bundesarbeitsgericht in Kassel ihnen den Status einer Kirche abspricht und von einem "Wirtschaftsunternehmen" ausgeht. Auch die UNO-Menschenrechtskommission beschäftigt sich mit der Behandlung der SC in der BRD. Die Scientologen ziehen den - geschichtlich fragwürdigen - Vergleich zwischen ihrer Situation und der Judenverfolgung im "Dritten Reich".

 

Nun ist den Gegnern der Vereinigung ein weiterer Erfolg gelungen. "Scientology wird bundesweit observiert", so titelte kürzlich die Süddeutsche Zeitung. Ein Jahr lang soll die sich selbst als Kirche begreifende Scientology-Organisation nach dem Willen der Innenministerkonferenz von den Verfassungsschutzämtern beobachtet werden. Es bestehe der Verdacht, daß die Organisation verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Anschließend wollen die Innenminister über die Möglichkeit eines Verbots der Organisation beraten, wenn deren Tätigkeiten gegen das Grundgesetz "ausreichend relevant erscheinen".

 

Ob die Tätigkeit der Scientology Church für ein Verbot tatsächlich "ausreichend relevant" ist, kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht beantwortet werden. Die Erhebung der konkreten Fakten über Ideologie und Handeln der Scientologen bleibt Verfassungsschützern, Journalisten, Politikern und letztendlich wohl Richtern vorbehalten. Die Bewertung bisheriger Erkenntnisse über die Tätigkeit dieser Organisation haben im Rahmen der vorliegenden Arbeit eher einen veranschaulichenden Charakter in puncto Begründung der Verfassungsfeindlichkeit. Trotzdem bleibt die Frage, ob bisherige Einschätzungen dieser Gruppe nicht bereits für ein Verbot ausreichen, nicht ausgespart.

 

Weitaus mehr Raum nimmt aber die Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen rechtlichen Fragestellungen ein. Im Rahmen dieser Seminararbeit zur Grundrechtsdogmatik ist interessant, unter welchen Voraussetzungen eine Gruppe verboten werden kann, die sich einerseits selbst als Glaubensgemeinschaft sieht und andererseits verfassungsfeindliche Ziele verfolgt Aus dem Spannungsfeld zwischen der Glaubens- und Vereinigungsfreiheit und des Konstrukts der "wehrhaften Demokratie" des Grundgesetzes ergeben sich einige Problemstellungen und Fragen. Möglicherweise können sich verfassungsfeindliche Gruppierungen, die sich als Religionsgemeinschaften ausgeben, eher einem Verbot entziehen als andere Vereinigungen. Ob die SC eine solche Gruppe sein könnte und ob ihr Verbot in der Bundesrepublik trotzdem rechtlich möglich wäre, wird nachfolgend erörtert. Eine eigene Stellungnahme zur Verbotsfrage im Licht des Grundgesetzes und der historischen Erfahrungen mit Verboten extremistischer Parteien und Vereinigungen schließt die Arbeit ab.

 

 

 

2. Verbot verfassungsfeindlicher Glaubensgemeinschaften

 

2.1 Verbotsmöglichkeiten des Grundgesetzes

2.1.1. Die "wehrhafte Demokratie" des Grundgesetzes

Die Entstehung des GG war vom geistig-moralischen Zusammenbruch des Dritten Reiches gekennzeichnet. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes versuchten aus den negativen Erfahrungen der Weimarer Zeit eine Verfassung für die Bundesrepublik zu erarbeiten, die vom Konsens für die Demokratie geprägt war. Vorherrschend war die Auffassung, daß einerseits verfassungspolitische Konsequenzen aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu ziehen seien und andererseits der aktuellen totalitären Bedrohung aus dem "Osten" entgegenzutreten sei. Das Grundgesetz entstand im Spannungsfeld des Nationalsozialismus der Vergangenheit und der Bedrohung durch den Stalinismus der Gegenwart.

Das Scheitern der Weimarer Republik hatte zur Folge, daß bestimmte Verfassungsprinzipien unveränderlich festgeschrieben wurden. Das Bundesverfassungsgericht zählt zu diesem Verfassungskern, bezeichnet als freiheitlich demokratische Grundordnung, folgende Elemente:

 

"Die Achtung vor dem im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf die verfassungsmäßige Bildung einer Opposition."

 

Eine gestärkte Stellung gegenüber der Weimarer Reichsverfassung (WRV) erfuhren im GG die sog. Grundrechte, die in ihrem Wesensgehalt nicht eingeschränkt werden dürfen. Diese Einschränkung des Mehrheitsprinzips ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem Erleben der anti-demokratischen Massenbewegung in den 30er Jahren. In dieser Logik liegt auch, daß das GG seinen Feinden nicht die Freiheit einräumen will, die freiheitlich demokratische Grundordnung (fdGO) zu zerstören. Deshalb versucht sich das Grundgesetz mit folgenden Mitteln zu verteidigen:

 

· die Möglichkeit der Verwirkung von bestimmten Grundrechten (Art. 18 GG)

· der Einsatz bewaffneter Macht (Polizei, Bundeswehr) im Falle der Gefahr (Art. 91 und 87a IV GG)

· die Möglichkeit des Verbotes von verfassungsfeindlichen Parteien (Art. 21 II GG), sowie Vereinigungen (Art. 9 II GG)

· den Ausschluß vom öffentlichen Dienst (abgeleitet aus der Loyalitätspflicht der Beamten, Art. 33 GG)

· das Recht zum Widerstand gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen (Art. 20 IV GG)

 

Diese Konstruktion der "wehrhaften Demokratie" soll die demokratische Verfassung der Bundesrepublik Deutschland schützen. Bis zum heutigen Tage mußte sie ihre Wirksamkeit noch nicht ernsthaft unter Beweis stellen. Zum Einsatz kamen v.a. in den 70er und 80er Jahren die sog. "Berufsverbote". Außerdem wurden in den 50er Jahren zwei Parteien verboten. Bis 1989 traf ein Verbot nach Art. 9 II insgesamt 119 Gruppierungen. Ob die "wehrhafte Demokratie" tatsächlich gegen anti-demokratische Massenbewegungen oder einen Staatsstreich von oben bestehen könnte, bleibt allerdings zweifelhaft. Ebenso läßt sich aus demokratietheoretischen Überlegungen fragen, ob die Berufsverbots-Praxis, ebenso wie manche Parteien- oder Vereinsverbote überhaupt geboten waren.

 

 

2.1.2. Verbot verfassungsfeindlicher Gruppen

2.1.2.1 Verbot von verfassungsfeindlicher Vereinigungen, Art. 9 II GG

Im Art. 9 GG wird von Vereinen und Gesellschaften gesprochen. Die Legaldefinition des Vereinsbegriffes findet sich in § 2 Abs. 1 Vereinsgesetz. Als Verein ist eine Vereinigung anzusehen, zu der sich "eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für eine längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat". Die weite Definition umschreibt den Schutzgegenstand des Art. 9 I GG nach allgemeiner Ansicht zutreffend. Art. 9 II GG ist nicht als Schutzbereichsbegrenzung des Absatzes 1 anzusehen, sondern als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen Eingriff. Dies hat zur Konsequenz, daß Vereine, die den Tatbestand des Art. 9 II GG erfüllen, nicht automatisch verboten "sind" - wie der Wortlaut nahe legt - und somit gar nicht erst in den Schutzbereich des Art. 9 I GG gelangen. Dafür spricht einerseits der Vergleich mit Art. 21 II GG und andererseits ein allgemeines Rechtssicherheitserfordernis, das bestimmte Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen verlangt. Ansonsten läge es im Belieben von Verwaltungsbehörden, Vereinigungen als verboten zu behandeln. Die konstitutive Wirkung eines Vereinsverbots durch die Behörden eröffnet den betroffenen Vereinigungen den Rechtsweg, da sie nach wie vor in den Schutzbereich des Art. 9 I GG fallen. Dem entspricht auch die Regelung in § 3, I S.1 VereinsG.

 

Die Verbotsgründe sind in Art. 9 II GG aufgezählt. Demnach können Vereinigungen verboten werden, deren Zweck oder Tätigkeit dem Strafgesetzen zuwiderlaufen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Ein Verbot aus anderen Gründen ist nicht möglich.

 

2.1.2.2. Spezialregelung für verfassungsfeindliche Parteien, Art. 21 II GG

Parteien fallen zwar auch unter die Kriterien des Vereinsbegriffes des Art. 9 I GG, die Anwendung des Art. 9 I, II GG wird allerdings durch die Spezialregelung des Art. 21 GG verdrängt. Als verfassungswidrig gelten Parteien, die die freiheitlich demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen wollen oder den Bestand der Bundesrepublik gefährden. Über ein Verbot entscheidet bei Parteien, anders als bei Vereinigungen i.S.d. Art. 9 I GG, das Bundesverfassungsgericht.

 

2.1.2.3. Fehlende Spezialregelung für Verbot verfassungsfeindlicher Religionsgemeinschaft

Der Zusammenschluß von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgruppen wird vom BVerfG unmittelbar aus Art. 4 GG abgeleitet. Insoweit wird auch hier Art. 9 I GG verdrängt. In Art. 4 GG findet sich allerdings keine ausdrückliche Verbotsmöglichkeit analog zu Art. 21 II oder 9 II GG. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde bisher einmal der Versuch unternommen, eine Religionsgemeinschaft zu verbieten. Die Frage, ob dies möglich ist, steht nun zur Überprüfung an.

 

2.1.2.3.1 Der grundrechtliche Schutz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus Art. 4 i.V.m. Art. 140 GG, 137 WRV

Der Art. 4 GG ist, wie Steiner schreibt, ein "glanzvolles Grundrecht", historisch als ein Urgrundrecht betrachtet, politisch oft als Indikator für den Zustand von Staat und Gesellschaft angesehen, philosophisch mit interessanten Bezügen versehen, ferner ein Mittelpunkt vieler Verfassungsstreitigkeiten der Nachkriegszeit und mit einer Ausstrahlungswirkung fast auf die gesamte Rechtsordnung ausgestattet.

 

Die Religionsfreiheit genießt, wohl nicht zuletzt deshalb, einen außerordentlich starken Schutz durch die Verfassung. Die ganz h.M. geht davon aus, daß Religionsgemeinschaften nicht unter den Vereinigungsbegriff des Art. 9 I GG fallen, sondern ihre Existenzberechtigung aus Art. 4 II GG selbst oder aus Art. 140 GG i.V.m. 137 WRV oder aus dem Zusammenwirken aller Artikel hergeleitet wird. Die Religionsgemeinschaften erfüllen zwar alle Merkmale des Art. 9 I GG, dieser werde aber von Art. 4 GG (und ggf. Art. 140 GG, 137 WRV) kraft Spezialität verdrängt. Es ist wohl vertretbar, allein auf den Art. 4 GG abzustellen, da dieser die Religionsausübung und deren kollektiven Zusammenschluß schützt Aus dem Interpretationsprinzip der Einheit der Verfassung und der BVerfG-Rechtsprechung ist es allerdings treffender, die weltanschauliche Vereinigungsfreiheit über Art. 4 i.V.m. Art. 140 GG, 137 WRV zu definieren.

 

Dabei darf keine rechtliche Unterscheidung zwischen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gemacht werden. Trotz des hohen Stellenwerts der Religionsfreiheit kann diese - auch nach der Auffassung des BVerfG - nicht schrankenlos sein. Umstritten, da vom höchsten deutschen Gericht noch nie geklärt ist die Frage, ob und wie Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verboten werden können.

 

2.1.2.3.2 keine Verbotsmöglichkeit aus dem GG

Die Vertreter der These einer nicht existierenden, grundgesetzlichen Verbotsmöglichkeit für Religionsgemeinschaften gehen mit der ganz h.M. davon aus, daß Religionsgemeinschaften nicht unter den Vereinigungsbegriff des Art. 9 I GG fallen. Die Religionsgemeinschaften erfüllen zwar alle Merkmale des Art. 9 I, dieser werde aber von Art. 4 GG (und ggf. Art. 140 GG, 137 WRV) kraft Spezialität verdrängt. Deshalb sei das Verbot des Art. 9 II nicht anwendbar.

 

a) Die Hauptargumentationslinie stellt darauf ab, daß der Art. 4 GG keine Schranke enthält und dies dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich entspreche. Zur Untermauerung dieser These wird herangezogen, daß Art. 4 GG nicht im Art. 18 GG aufgeführt ist, der die Verwirkung von Grundrechten regelt. Für Parteien habe der Gesetzgeber die Verbotsmöglichkeit in Art. 21 II GG explizit geregelt. Ferner garantiere Art. 137 II WRV i.V.m. Art. 140 GG eine Vereinigung von Religionsgemeinschaften "ohne Beschränkung".

 

Dem wird verschiedenes entgegengehalten: Zum einen ist zweifelhaft, ob der Gesetzgeber als ganzes, oder nur einzelne Mitglieder ausdrücklich alle Religionsgemeinschaften von einer Verbotsmöglichkeit ausnehmen wollten. Zur Rolle des Willens des Gesetzgebers bei Auslegung einer Vorschrift hat sich das BVerfG wie folgt geäußert:

"Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut, der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt zu deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können."

 

Ein "objektivierter Wille" der Ausnahme von Verbot kommt im GG nicht zum Ausdruck. Die Verfassungsfeindlichkeit von Glaubensgemeinschaften wurde bei der Entstehung des Grundgesetzes kaum berücksichtigt, die heutige "Sektenproblematik" war damals gänzlich unbekannt. Außerdem hat der Verfassungsgeber wohl durch Art. 140 GG deutlich gemacht, daß er die Schranken des Art. 137 WRV gelten lassen will. Die Ausübung von Religion war an den Rahmen der bestehenden Gesetze geknüpft, Art. 137 III WRV.

Dem auf den Sinnzusammenhang gestützten Argument der Nichtaufzählung des Art. 4 GG im Art. 18 GG ist entgegenzuhalten, daß erst die Rechtsprechung die Vereinigung von Religionsgemeinschaften aus Art. 4 GG begründet. Nach dieser Sichtweise greift Art. 18 GG die individuelle Religionsfreiheit nicht an, kann aber nicht zur Interpretation über die Verbotsfrage herangezogen werden. Richtig ist zwar, daß für den Artikel keine Eingriffsregelung, wie bei den Parteien vorhanden ist. Es ist allerdings schwer nachvollziehbar, daß alle Vereinigungen selbst die privilegierten Parteien verboten werden können, Religionsgemeinschaften aber nicht. Dies ist ein Widerspruch zum Gesamtkonzept des Grundgesetzes als "wehrhafte Demokratie". Der Art. 4 GG ist für Religionsgemeinschaften eine Spezialregelung, die Art. 9 I GG verdränge. Der Vereinsbegriff des Art. 9 II GG sei davon unabhängig zu sehen und könne deshalb auch auf Religionsgemeinschaften Anwendung finden.

 

Dem Art. 4 GG ist laut BVerfG der von der Verfassung gemeinte oder vorausgesetzte, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechende Begriff der Religion zugrunde zu legen. Religiöse Handlungen sind nach dem herrschenden Grundrechtsverständnis nicht völlig unbeschränkt. Sie finden ihre Grenze z.B. in der Wahrung der Menschenwürde. Die Interpretation der Verfassung darf sich nicht auf die isolierte Betrachtung einzelner Artikel beschränken, sondern muß dem inneren Sinnzusammenhang (und dem Gegeneinander) der unterschiedlichen Artikel des GG Rechnung tragen (Vorbehalt des kollidierenden Verfassungsrechts). Demnach muß dem Selbstverständnis der Verfassung als "wehrhafte Demokratie", die sich in den Art. 18, 9 II und 21 II GG verdeutlicht, Vorrang vor einem formal, schrankenlosen Religionsfreiheitsverständnis eingeräumt werden. Bei sich widersprechenden Normen muß die Auslegung zugunsten der stärkeren Norm erfolgen. Ein Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften muß demnach in Betracht kommen können, wenn er aus der Gesamtschau des GG zulässig ist. Insgesamt ist festzustellen, daß die h.M. und das BVerfG zu Recht davon ausgeht, daß kein Grundrecht unbeschränkt gilt, auch nicht die Religionsfreiheit. Die Auffassung, daß aus dem auf den ersten Blick schrankenlosen Art. 4 GG und dem Willen des Verfassungsgebers keine Verbotsmöglichkeit gegeben sei, ist abzulehnen.

 

b) Eine weitere Begründung für die These der Nichtverbotsmöglichkeit ist, daß die Religionsgemeinschaften in keinen Unterordnungsverhältnis zum Staat stehen und sich somit eine Kontrolle durch diesen nach der Verfassung verbiete. Andere wollen wiederum die Verbotsmöglichkeit nur für die "großen" Religionsgesellschaften ausschließen und halten Art. 9 II GG für alle anderen Glaubensvereinigungen anwendbar.

Der letzten Auffassung ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß eine Unterscheidung zwischen großen (anerkannten) und kleinen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gegen das staatliche Neutralitätsgebot in Glaubensfragen verstößt. Die Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung geht davon aus, daß der Staat zwar mit Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten dürfe, aber eine Privilegierung muß ausgeschlossen sein. Eine andere Sichtweise würde auch dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG zuwiderlaufen, auf dem das Neutralitätsgebot fußt. Aus dem Verfassungsgrundsatz der Trennung von Kirche und Staat heraus verbietet sich eine Unterscheidung und Ungleichbehandlung von Religionsgemeinschaften aufgrund der Größe oder gar einer inhaltlichen Wertung. Die zahlreichen Bestimmungen zur Religionsfreiheit sowie Art. 137 I bis IV WRV gelten für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unbeschadet ihrer Rechtsform.

 

Hieraus ein Gleichordnungsverhältnis abzuleiten, daß die Kirchen und deren Religionsausübung aus dem Geltungsbereich des Grundgesetzes herausnehme, ist nicht haltbar. Jede Religionsausübung auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland unterliegen der Ordnung und damit den allgemeinen Grenzen des Grundgesetzes. Gerade bei kollidierendem Verfassungsrecht, wenn nämlich die Grundrechte Dritter betroffen sind, kann der Staat in die Religionsfreiheit eingreifen. Die Bundesrepublik gesteht den Kirchen die weitgehende eigenständige Ordnung ihrer inneren Verhältnisse zu, allerdings kann dies das Hineinwirken der Normen des GG in die kirchliche Organisation nicht ganz unterbinden. Anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland bewegen sich trotz ihrer privilegierten Stellung unter dem Dach des Grundgesetzes. Auf dem Gebiet der BRD treten sie dem deutschen Staat nicht als gleichberechtigte Partner gegenüber, wie zum Beispiel andere Staaten deren Botschaften auf exterritorialem Gebiet stehen. In extremen Fällen muß also auch ein vom GG abgedeckten Verbot einer von Art. 4 GG geschützten Gruppierung möglich sein.

 

c) Als Beleg für den Willen des Verfassungsgebers, keine Verbotsmöglichkeit zu schaffen, wird auch auf die Regierungsbegründung beim Erlaß des Vereinsgesetzes hingewiesen. Dieses nehme die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ausdrücklich von einem Verbot aus, § 2 II Nr. 3 VereinsG. Oben unter a) wurde bereits dargelegt, daß eine alleinige historische Auslegung auf Basis des verfassunggebenden Willens, der in Debattenbeiträgen geäußert wurde, als Begründung nicht ausreicht und zweifelhaft ist. Bei dem zeitlich späteren Erlaß des Vereinsgesetzes hat sich der Gesetzgeber allerdings wiederum der Ableitung der Nicht-Verbots-These aus dem Grundgesetz angeschlossen. Dies kann in bezug auf die Zulässigkeit eines Verbots nach dem GG keine andere Auffassung als unter a) dargestellten Grundsätzen der Verfassungsauslegung ergeben. Nach Meinung von Planker ist dem Gesetzgeber beim Erlaß des Vereinsgesetzes ein Auslegungsirrtum des GG unterlaufen, was unten noch genauer erläutert wird.

 

Zwischenergebnis: Nach der hier vertretenden Auffassung, ermöglicht das Grundgesetz ein Verbot von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften.

 

2.1.2.3.3 Analoge Anwendung des Art. 18 GG

Es könnte daran gedacht werden, eine Grundrechtsverwirkung für Religionsgemeinschaften aus einer analogen Anwendung des Art. 18 GG herzuleiten.

 

Dem ist entgegenzuhalten, daß Art. 4 GG bewußt nicht in den Art. 18 GG aufgenommen wurde, obwohl es damals bereits Diskussionen über die Gefährdung des Staates durch extremistische Weltanschauungen gegeben habe. Man wollte die Grenzen für jedes einzelne Grundrecht selbst festlegen. Dies könnte durch Art. 140 i.V.m. Art. 137 WRV passiert sein. Allerdings kommt es nicht auf die Diskussion im Entstehungsprozeß an, sondern auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers. Die bewußte Auslassung des Art. 4 GG im Art. 18 GG kann deshalb nicht uminterpretiert werden. Dagegen könnte man wiederum einwenden, daß der Verfassungsgeber die Vereinigung von Religionsgemeinschaften nicht auf Art. 4 GG, wie die spätere Rechtsprechung des BVerfG gestützt gesehen hat, sondern auf Art. 140. Aber auch dieser wurde trotz den Debattenbeiträgen, die auf mögliche Gefahren durch extremen religiösen Gruppen hinwiesen, nicht Bestandteil des Art. 18 GG.

Sachs vertritt die Meinung, daß neue Bestimmungen zum Zwecke des Verfassungsschutzes nur durch Verfassungsänderung eingeführt werden können, weil das System des Schutzes selbst begrenzt sei und diese Begrenzung im freiheitlichen Staat auch erforderlich sei. Er stützt sich hierbei auf die sog. Wesentlichkeitstheorie und das Bestimmtheitsgebot. Auch er lehnt eine analoge Anwendung des Art. 18 GG ab.

 

Zwischenergebnis: Aus dem objetivierten Willen des Verfassungsgebers und der notwendigen Eingrenzung des Verfassungsschutzes ist eine allein auf Art. 18 GG gestützte analoge Anwendung abzulehnen.

 

2.1.2.3.4 Schrankenübertragung aus Art. 2 I GG und 5 II GG

Eine Einschränkung des vorbehaltlosen Grundrechts der Religionsfreiheit könnte sich aus Art. 2 I GG ergeben. Die darin garantierte "freie Entfaltung der Persönlichkeit" wird beschränkt, wenn sie die Rechte Dritter verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Dem hat aber das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich mit einer Entscheidung widersprochen. Dies verdient Zustimmung, da ein für alle Grundrechte geltender Vorbehalt den Schutz der Grundrechte ins Leere laufen lassen könnte. Jede Schranke eines Grundrechts ist aus diesem selbst herzuleiten. Eine "Schrankenübertragung" des Art. 2 I oder Art. 5 II ist demnach unzulässig.

 

Zwischenergebnis: Eingriffe in die religiöse Vereinigungsfreiheit lassen sich nicht aus einer Generalnorm wie Art. 2 I GG (oder aus der Schrankenübertragung aus Art. 5 II) ableiten.

 

 

2.1.2.3.5 grundrechtsimmanente Schranken des Art. 4 GG

Als grundrechtsimmanente Schranke könnte Art. 137 WRV über Art. 140 GG Einzug in den Schutzbereich des Art. 4 GG gefunden haben. Demnach könnte ein Verbot aus der Schranke der allgemeingültigen Gesetze des Art. 137 II WRV abgeleitet werden bzw. als Grundlage dienen. Wie bereits erörtert hat das BVerfG die Vereinigungsfreiheit allein aus Art. 4 GG abgeleitet. In einer früheren Entscheidung sieht das Gericht den Art. 4 GG allein aus sich selbst heraus beschränkt. Damit würde Art. 4 GG die Bestimmungen der WRV überlagern.

 

In anderen Entscheidungen hat das BVerfG aber eine Schrankenregelung für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 136, 137 WRV anerkannt. Im Hinblick auf die Art. 136 bis 139 WRV hat das BVerfG erklärt, das diese Vorschriften infolge ihrer Inkorporation mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes bilden und daher ihr Verhältnis zu anderen, im Grundgesetz unmittelbar getroffenen Regelungen, aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen ist.

Es scheint demnach grundsätzlich möglich, den Art. 137 III WRV als Schranke des Art. 4 GG anzuerkennen, wobei diese Schranke wohl nur im weiten und großzügigen Schutzbereich der Religions- und Glaubensfreiheit Anwendung finden darf.

 

Zwischenergebnis: Eine Einschränkbarkeit des Art. 4 GG z.B. durch einfaches Gesetz, die sich auf Art. 137 WRV beruft und die Religionsfreiheit angemessen würdigt, ist verfassungskonform.

Einer genaueren Überprüfung bedarf es, ob ein Verbot durch eine grundgesetzlichen Norm, wie dem Art. 9 II GG, der als allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 137 III WRV interpretiert wird, zulässig ist.

 

2.1.2.3.6. Verbot aus Art. 9 II GG

Unter bestimmten Voraussetzungen ist - so die wohl herrschende Meinung und Rechtsprechung - ein Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, das sich auf Art. 9 II GG stützt, verfassungsrechtlich zulässig. Angesichts des schrankenlosen Art. 4 GG bedürfen die unterschiedlichen Begründungen hierfür einer genauen Überprüfung.

Ausgangspunkt der auf Art. 9 II GG gestützten Verbotsmöglichkeit ist das Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 1971. Das Gericht geht von Art. 4 GG aus, sieht diese aber durch Art. 140 i.V.m. Art. 137 III WRV durch die geltende staatliche Rechtsordnung eingeschränkt. Der Art. 9 II GG sei ein "allgemeines Gesetz" i.S.d. Art. 137 III WRV und könne deshalb Grundlage für ein Verbot sein. Das Gericht verweist aber auch auf die Gesamtordnung des Grundgesetzes, die den Anwendungsbereich des Art. 9 II GG eröffnen würde.

 

Anders argumentiert Planker. Er erkennt an, daß durch Art. 4 i.V.m. Art. 140 GG der Art. 9 I GG kraft Spezialität verdrängt wird. Ob dies zugleich eine Anwendung des Art. 9 II GG ausschließt, stellt er in Frage, da die Artikel die anstelle des Art. 9 GG treten sollen, keine Aussage über eine Verbotsnorm treffen. Er nimmt an, daß sich die Spezialregelung nur auf die religiöse Vereinigungsfreiheit beschränkt und verweist darauf, daß aus systematischen Gesichtspunkten jedes speziellere Gesetz das allgemeine, nur für den engeren, von ihm erfaßten Bereich verdränge:

 

"Die Feststellung, daß weder Art. 137 WRV noch Art. 4 GG eine eigene Verbotsregelung enthalten, spricht dafür, eine Spezialität dann auch nur gegenüber Art. 9 Abs. 1 GG als der allgemeinen Gewährleistungsnorm anzunehmen. Fehlt aber eine spezielle (Verbots-)Vorschrift, so muß bei systematischer Betrachtungsweise die allgemeinere Norm, in diesem Fall Art. 9 Abs. 2 GG wieder zum Zuge kommen. Selbst wenn man so weit geht und aus einer fehlenden (!) Verbots(spezial)regelung bei Art. 137 Abs. 3 WRV auf eine Kollision (!) mit Art. 9 Abs. 2 GG schließt, müßte dies nach dem oben Gesagten [gemeint ist der Vorrang der grundgesetzlichen Norm, Anmerk. des Verf.] zum Zurückweichen der "Lücke" bei Art. 137 WRV und zum Einsatz von Art. 9 Abs. 2 GG führen."

 

Diese Argumentation überzeugt systematisch eher als die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts. In den ins Grundgesetz übernommenen Artikeln der WRV findet sich keine explizite Verbotsmöglichkeit. Der Weg des Bundesverwaltungsgerichts, Art. 9 II GG als "allgemeinses Gesetz" i.S.d. Art. 137 III WRV zu interpretieren, erscheint deshalb nur schwer vertretbar. Im Ergebnis kommen zwar beide Ansichten zur Anwendbarkeit des Art. 9 II GG, die von Planker vertretene Ansicht ist aus systematischen Überlegungen heraus zu befürworten. Sowohl der Lösung des BVerwG, wie der Ansicht von Planker kann entgegengehalten werden, daß der Gesetzgeber (auch in Verbindung mit Art. 140 GG) keine explizite Verbotsmöglichkeiten der religiösen Vereinigung festgelegt hat. Demnach entscheidet sich die Frage eines Verbots im Kern danach, ob man aus dem Gesamtzusammenhang des GG, ein Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als legitim ansieht.

Aus dem Norm- und Sinnzusammenhang des Grundgesetzes wird das oben bereits erwähnte Konstrukt der "wehrhaften Demokratie" konzipiert. Im Gegensatz zu den Verfassungen manch anderer europäischer Länder sieht es sogar die Verbotsmöglichkeit der ansonsten privilegierten Parteien vor. Aus den in Art. 9 II GG genannten Gründen können auch sonstige Vereinigungen verboten werden. Auch die Verwirkung einzelner Grundrechte ist möglich, wenn deren Träger sie für eine Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mißbrauche. Es würde der Systematik und dem ideologischen Hintergrund des GG widersprechen, würde hiervon Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaften ausgeschlossen, die die fdGO aggressiv bekämpfen und gefährden. Diese können die Demokratie genauso gefährden wie verfassungsfeindliche Parteien. Der Grundgedanke der "wehrhaften Demokratie" legt ein Verbot von verfassungsfeindlichen Glaubensgemeinschaften nahe.

 

Auch Ridder geht von einem Nebeneinander von Art. 9 I und Art. 9 II GG aus. Art. 9 II GG stellt vielmehr selbständig - in bezug auf Vereinigungen, die einen der Verbotstatbestände erfüllen - die Vermutung auf, daß schon die Existenz einer solchen Vereinigung eine polizeiliche Gefahr darstelle.

 

Der Anwendbarkeit des Art. 9 II GG dürften im grundsätzlichen Ergebnis auch die Vertreter nicht widersprechen, die den Konflikt nach dem Prinzip der kollidierenden Verfassungsbestimmungen regeln wollen, wenn der Art. 4 GG entsprechend seiner herausragenden Stellung beachtet würde. Kollidierendes Verfassungsrecht wird von Rechtsprechung und Lehre als letztes behutsames Mittel angesehen, nicht vorgesehene Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten zu ermöglichen. Nach der hier gefolgten Auffassung ist ein Eingriff in Art. 4 GG bereits durch Art. 9 II GG möglich, wenn der Glaubensfreiheit größtmögliche Rechnung getragen wird. Ein Rückgriff auf kollidierendes Verfassungsrecht als Schutzbereichsbegrenzung ist nicht nötig.

Andere Argumentationslinien, die gegen die Anwendung des Art. 9 II GG sind oder eine Verbotsmöglichkeit generell verneinen, wurden bereits ab Gliederungspunkt 2.1.2.3.2 diskutiert und entkräftet.

 

Offen geblieben ist bisher die Frage, ob bei einer Verbotsverfügung direkt auf Art. 9 II zurückgegriffen werden kann oder ob es einer einfach-gesetzlichen Regelung bedarf.

 

2.1.2.3.7 Notwendigkeit einer gesetzlichen Konkretisierung des Art. 9 II GG

Im Urteil des BVerwG wird davon gesprochen, daß Art. 4 GG zwar keine dem Art. 9 II analoge Regelung enthalte, aber aus dem "Wesen" dieser Normen des Grundgesetzes und der des Vereinsgesetzes ein Verbot einer religiösen Vereinigung "erforderlichenfalls" nicht ausgeschlossen werden könnte. Das Bundesverwaltungsgericht äußert sich auch zu dem Verbotsausschluß für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus dem VereinsG. Diese Regelung sei zwar zulässig, aber keine notwendige Begrenzung des vereinsrechtlichen Anwendungsbereichs. Die Möglichkeiten des Art. 9 II GG werden durch das Gesetz nicht ausgeschöpft. Das Gericht eröffnet, wenn auch unter Abwägung des Schutzbereichs des Art. 4 GG, also die Anwendung des Art. 9 II entgegen den einfach-gesetzlichen Bestimmungen.

 

Fraglich ist aber, ob Art. 9 GG das VereinsG überlagern kann, indem das Verbot direkt aus Art. 9 II GG hergeleitet wird. Eine Uminterpretation entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Vereinsgesetzes, die sich auf Art. 9 II stützt, ist aus methodischen Gründen abzulehnen. Auch verstößt es gegen das staatliche Neutralitätsgebot, wenn dies nur für "kleinere" (sprich: von der Mehrheit eher ablehnend behandelte) Glaubensgemeinschaften getarnt wird.

 

Eine unmittelbare Anwendung des Art. 9 II GG entspricht der sog. ex-lege-Theorie. Das Verbot einer Gruppe stütze sich demnach allein auf die grundgesetzliche Regelung, ohne auf ein einfaches Ausführungsgesetz angewiesen zu sein. Mit dem Erlaß des Vereinsgesetzes wurde diese durchaus verbreitete Meinung obsolet. Das allgemeine Rechtssicherheitserfordernis, das bestimmte Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen verlangt, widerspricht der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 9 II GG. Damit ergebe sich nämlich sogar eine Schlechterstellung derartig verbotener Religionsgemeinschaften, da für sie nicht einmal das Vereinsgesetz eingreifen dürfte, so daß eine Schlechterstellung gegenüber den Vereinigungen iSd. Art. 9 I stattfinden würde. Dies kann nicht im Interesse des Verfassungsgebers gelegen haben, der die Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber anderen Vereinigungen privilegiert hat. Zudem liegt darin ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und die Wesentlichkeitstheorie.

 

Deshalb ist darauf zu bestehen, daß Verbote von Religionsgemeinschaften einer einfach-gesetzlichen Regelung bedürfen. Im Vereinsgesetz hat der Gesetzgeber diese Regelung nicht getroffen, sondern diese Gruppen explizit ausgenommen. Das Urteil des BVerwG ist in dem Punkt, indem es direkt auf Art. 9 II zugreift und diesen entgegen den Wortlaut des VereinsG anwendet, abzulehnen. Planker untersucht, ob deshalb die Regelung von § 2 II, Nr. 3 VereinsG gegen die Art. 3 I i.V.m. Art. 3 III GG verstößt, weil er religiöse Vereinigungen gegenüber anderen bevorzuge. Im Ergebnis stellt er die Verfassungsmäßigkeit des Vereinsgesetzes fest, nimmt aber einen Irrtum bei der Verfassungsinterpretation an und meint, daß eine Kompetenzunterschreitung des Gesetzgebers vorliege. Deshalb sei trotz der grundgesetzlichen Möglichkeit eines Verbotes von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften, ein Verbot aufgrund fehlender einfach-gesetzlicher Regelungen nicht möglich.

 

2.1.3. Ergebnis: Das Grundgesetz erlaubt prinzipiell ein Verbot religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften durch Art. 9 II GG. Aufgrund fehlender einfach-gesetzlicher Regelungen bzw. die ausdrückliche und zulässige Herausnahme solcher Gruppen aus dem VereinsG ist derzeit keine Verbotsmöglichkeit für verfassungsfeindliche Glaubensgemeinschaften gegeben.

 

3. Zur Einordnung der Scientology Church (SC): Vereinigung oder Religionsgemeinschaft?

 

3.1 Vorbemerkung zur Einordnungsproblematik

Sollte eine verfassungsfeindliche Glaubensgemeinschaft aber gar nicht unter den Schutzbereich des Art. 4 GG fallen, würde sie eine Vereinigung i.S.d. Art. 9 I GG darstellen und es Bestünde eine Verbotsmöglichkeit nach Art. 9 II GG i.V.m. dem §§ 2 ff. VereinsG. In diese Richtung läuft die aktuelle Diskussion um die Scientology Church, der die Gegner vorwerfen, Religion als Deckmantel für ihre (wirtschaftlichen und verfassungsfeindlichen) Ziele zu verfolgen. Einige Autoren wollen Minderheitsreligionen oder verfassungsfeindliche Glaubensgemeinschaften sogar grundsätzlich den Schutzbereich des Art. 4 GG verwehren. Hierin liegt eine Möglichkeit, eine sich selbst als Glaubensgemeinschaft begreifende Organisation entgegen dem Willen des Gesetzgebers zu verbieten. Deshalb bedarf es der Überprüfung, welche verfassungsmäßigen Maßstäbe an eine Vereinigung anzulegen sind, um sie dem Schutzbereich des Art. 4 GG zu unterstellen. Hier stellt sich für Juristen also die Faust’sche Gretchenfrage "Sag’, wie hältst Du ‘s mit der Religion?". Oder wie es Solte angeht: Was ist ein religiöses und weltanschauliches Bekenntnis, dessen Freiheit Art. 4 I GG schützt, und was ist eine ungestörte Religionsausübung, die Art. 4 II GG gewährleistet? Darf oder kann der Staat auf diese Frage überhaupt eine Antwort geben, ohne bereits mit seiner Antwort den Schutzbereich des Grundrechts unzulässig einzuengen?

 

3.2 Zur Einordnung der Scientology Church in Literatur und Rechtsprechung

Im Schrifttum und der Rechtsprechung gehen die Meinungen über den Anwendungsbereich des Art. 4 GG auf Religionsgemeinschaften stark auseinander. Je enger der Schutzbereich gefaßt wird, umso eher fallen Gruppen heraus, die nicht dem herrschenden Bild einer Religion entsprechen.

Das Bundesverfassungsgericht hat Wertungen getroffen, die für die nachfolgende Diskussion der unterschiedlichen Auffassungen einen Bezugsrahmen darstellen.

Obwohl nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert, wird dem Staat eine allgemein anerkannte Neutraltiätsverpflichtung im religiös-weltanschaulichen Lebensbereich auferlegt. Ihre verfassungsrechtliche Grundlage hat das Neutralitätsgebot vor allem in der Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit durch Art. 4 GG, aber auch im Gebot der Trennung von Staat und Kirche mit dem Verbot der Staatskirche durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 I WRV. Heranzuziehen ist auch das aus Art. 3 III und Art. 33 III GG abgeleitete Verbot der Bevorzugung und Benachteiligung des Bürgers aus religiösen Gründen.

Schutzbereich des Art. 4 wurde derart interpretiert, daß nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens geschützt sei, sondern "nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet" hätten.

Diese frühere, einengende Rechtsprechung ist durch das BVerfG selbst überholt. Heute definiert die Rechtsprechung Religion extensiver, als "eine mit der Person des Menschen verbundene Gewißheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen und zum Ziel des menschlichen Lebens".

Das Selbstverständnis der sich auf das Grundrecht berufenden Gruppe ist ein wichtiges, aber nicht allein entscheidendes Kriterium. Es müsse sich vielmehr tatsächlich, nach dem geistigen Gehalt und äußerem Erscheinungsbild um eine Religion oder eine Religionsgemeinschaft handeln. Auch sei anders, als es der Wortlaut der Art. 4 I, II GG nahelegen könnte, keine Unterschiede zwischen der Behandlung von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften zu machen.

 

3.2.1 Positionen für eine enge Auslegung des Art. 4 GG in der Literatur

Isensee setzt sich dafür ein, den Artikel 4 GG auf einen europazentrisch und christlich geprägten verfassungsrechtlichen Begriff der Religion" einzugrenzen. Von Camphausen plädiert für eine "Qualitätsprüfung" der Religionsgemeinschaften. Diese sei durch staatliche Stellen zulässig und geboten, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Auch Obermayer hält eine Neubestimmung des Religionsgemeinschaftsbegriffes für wichtig. Zwar sei eine Unterscheidung in "echte" und "unechte" Religionsgemeinschaften nicht akzeptabel, aber ein wesentliches Kriterium müsse sein, daß die grundlegenden Lehren und Praktiken mit der Verfassung vereinbar seien. Herzog warnt auch vor einer zu weiten Auslegung des Art. 4 GG und fordert - wie Zippelius - eine historische Herangehensweise. Nicht in jeder Hinsicht soll auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft zurückgegriffen werden.

 

3.2.2. Positionen für eine weite Auslegung des Art. 4 GG

Alberts fordert eine weite Auslegung der Religionsfreiheit ein. Er kritisiert die nach seiner Meinung stattfindende Stigmatisierung in der Öffentlichkeit und die Ungleichbehandlung von sog. Sekten und anerkannten Religionsgemeinschaften durch die Rechtsprechung. Auch das Bundesverfassungsgericht stelle bei Sekten weniger auf die Religionsfreiheit, sondern auf die Grenzen des Grundrechts ab. Sein Plädoyer für eine sehr weitgehende Freiheit und extensive Auslegung des Art. 4 GG begründet er damit, daß alle Religionen, soweit sie nicht Staatsreligionen sind, auf offenem oder latentem Kriegsfuß zu staatlichen Erfordernissen stünden. Aus journalistischer Perspektive meint Stephan, daß die Garantie der Religionsfreiheit, nicht mehr "das Papier wert" wäre, auf dem sie steht, wenn der Staat sich anmaßt - auf welchem Weg auch immer - zu entscheiden, was als Religion im Sinne des Grundgesetzes zu gelten habe. Jofe spricht sich in seinem Kommentar "Im Zweifel gegen den Staat" für eine Nichteinmischung des Staates in religiöse Fragen aus. Im Art. 4 GG stehe nichts von Freiheit nur für "anerkannte Religionsgemeinschaften". Müller-Volbehr fordert das Primat der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit sog. Minderheitenreligionen vor juristischen Bewältigungsversuchen ein. Definitionsversuche des Staates im religionswissenschaftlichen Sinne lehnt er mit dem Hinweis auf die Neutralitätsverpflichtung des Staates dahingehend ab, keine wesensmäßigen Kriterien aufzustellen. Gleichwohl sieht er die Notwendigkeit einer möglichst wert-neutralen Definition, bei einer weiten Auslegung des Art. 4 GG.

 

 

3.2.3 Diskussion, Bewertung

Die öffentliche Diskussion und wohl auch die herrschende Meinung in der Rechtsprechung fordert eine engere Auslegung der Religionsfreiheit. Bestimmte, für gefährlich gehaltene Minderheitenreligionen sollen das Grundrecht aus Art. 4 GG nicht "mißbrauchen" können. Die bereits aufgeworfene "Gretchenfrage" für die staatlichen Institutionen ist, wie sie sich zu diesen Bestrebungen stellen sollen.

 

Im Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes nimmt die Religions- und Weltanschauungsfreiheit eine sehr herausgehobene Stellung ein. Auch legt die Verfassung dem Staat eine Neutralitätsverpflichtung im "Wettbewerb" der religiösen Gruppen auf.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung den Religionsbegriff weit ausgelegt, aber nicht unbeschränkt gelassen. Bestimmte Merkmale müsse eine Gemeinschaft erfüllen, um als solche zu gelten. Diese Auffassung, die zwar noch weit hinter den Forderungen nach Sekten-TÜV’s und anderen Kontrollmechanismen für Minderheitsreligionen zurückbleibt, ist trotzdem bedenklich.

 

Der Art. 4 GG ist ein Freiheitsrecht. Es durch Definitionen und Interpretationen einzuschränken, bedarf einer sehr guten Begründung. Zu bedenken ist, daß Minderheitsreligionen sich fast immer in einem negativen Spannungsverhältnis zu den staatlichen Institutionen befinden, die auch nicht unbeeinflußt von den Mehrheitsreligionsvorstellungen sind. Jede Definition von staatlicher Seite ist der großen Gefahr einer Diskriminierung der Minderheitsreligionen ausgesetzt.

 

Außerdem ist in einer pluralistischen Gesellschaft, die zunehmend individualisiertere Züge auch in den religiösen Vorstellungen ihrer Mitglieder annimmt, eine Definition von Religion oder Weltanschauung nicht möglich, sagen selbst Religionswissenschaftler. Zwar ist "Religion" ein unbestimmter Rechtsbegriff im GG, der der Auslegung der Gerichte offensteht, aber auch diese müssen hierbei wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde legen. Wenn selbst die Religonswissenschaft vor einem Definitionsproblem steht, wie soll das dann von staatlichen Institutionen neutral entschieden werden? Die Neutralitätsverpflichtung des deutschen Grundgesetzes muß in der heutigen Zeit mit pluralisierten Glaubensvorstellungen sehr genau beachtet werden. Die Weltanschauung muß Privatsache der Bürgerinnen und Bürger sein und bleiben. Auf ihr Selbstverständis bzw. das der Gemeinschaften kommt es an. Der Staat hat sich jeglicher Bewertung zu enthalten, da objektive Kriterien kaum greifen. Wenn er Religionen oder Weltanschuungen fördert, muß er dies unbesehen allen Gruppen zukommenlassen.

 

Die Gefahr des Mißbrauches des Grundrechts der Religionsfreiheit ist bei einer weiten Auslegung des Art. 4 GG gegeben. Trotzdem sind Gesellschaft und Staat bisher weder ernsthaft gefährdet worden. Sie verfügen zudem über genügend Abwehrmechanismen. Ein Ausschluß von Gruppen aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG über die Einengung des Religionsbegriffs ist sehr problematisch, da er in der Regel von Mehrheitsvorstellungen geprägt ist. Der Minderheitenschutz darf nicht vergessen werden. Oft genug werden durch öffentliche Stimmungsmache Personen, die religiöse Minderheiten angehören, gefährdet. Gerade im Schutz der Minderheiten liegt der Sinn des Art. 4 GG.

Wenn tatsächlich eine Gefährdung von Minderheitsreligionen ausgehen sollte, bietet das Grundgesetz Mittel, diesen Gefahren entgegenzutreten, auch ohne eine Religionsdefinition vorzunehmen.

 

Zwischenergebnis: Der Art. 4 GG schützt die Weltanschauungs- und Religionsfreiheit und deren kollektive Ausübung. Insbesondere Minderheiten bedürfen dieses Schutzes. Durch Einengung des Religionsbegriffs wird dieser Minderheitenschutz ausgehoben. Der Staat hat sich aufgrund des Neutraltiätsgebotes einer Bewertung zu enthalten. Ihm kommt keine Definitionsmacht in Statusfragen zu. Der Schutzbereich des Art. 4 GG ist in dieser Beziehung sehr weit zu fassen.

 

3.2.4 Die Rechtsprechung zu Scientology bzgl. Religions-Status und der Frage des religiös getarnten Wirtschaftsunternehmens

 

Einige Gerichte haben Gliederungen oder Unterorganisationen von SC als Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 4 i.V.m. 140 GG und 137 WRV anerkannt. Eine ausführliche Begründung wird meist nicht gegeben. Das OVG Hamburg hat jüngst festgestellt, daß die SC als Weltanschauungsgemeinschaft den Schutz des Art. 44 GG in bezug auf ihre Lehre genieße. Andere lassen die Status-Frage offen. Das Bundesarbeitsgericht und andere Gerichte verneinen hingegen die Eigenschaft als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, da bei der SC eine wirtschaftliche Zielsetzung im Vordergrund stehe.

 

Ob und wann das Vorhandensein einer wirtschaftlichen Zielsetzung ausschlaggebend für eine Ablehnung des Religionscharakters sein kann, muß genauer erörtert werden. Das BAG stellt in seinem Urteil zuerst die Definition einer Weltanschauungsgemeinschaft dar. Bezogen auf die weite Auslegung des Art. 4 GG , wird auf den Umstand verwiesen, daß auch eine Gruppierung, die überwiegend politisch oder erwerbswirtschaftlich tätig ist, noch die Eigenschaft als Gemeinschaft iSd. Art. 4, 140 GG, 137 WRV verliert. Eine Glaubensgemeinschaft könne Mitgliedsbeiträge erheben, für Güter und Dienstleistungen Engelte verlangen, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß sie einem unmittelbar religiösen oder weltanschaulichen Bezug aufweisen, wie dies bei der Unterrichtung über die Lehren der Gemeinschaft gegeben ist. Dienen die Lehren aber nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele, könne von einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft iSd. GG nicht mehr gesprochen werden. Einen solchen Mißbrauch nimmt das BAG bei SC an. Es verweißt auf die Anweisung des SC-Gründers Hubbard "Make money - make more money - make other people produce so as to make money." Es würden auch an Nichtmitglieder Broschüren und Dienstleistungen verkauft und intensive Werbung betrieben. Selbst die religiösen Dienste seien kommerzialisiert. SC beschäftige darüber hinaus Leute, die Provisionen für die Anwerbung neuer Mitglieder kassieren. Spürck meint, daß sich die Aberkennung des Religionsstatuses für SC in der Rechtsprechung durchsetzen wird.

 

Wenn man die Grenzziehung zwischen erlaubter und übermäßiger wirtschaftlicher Betätigung tatsächlich objektiv ziehen könnte, ist die Argumentation des Gerichts anerkennenswert. Im Vergleich zu etablierten Religionen wird das allerdings problematisch. Von Kritikern wird den Großkirchen und ihren karitativen Vereinen, Geschäftemacherei in einem Ausmaß vorgeworfen, der das Finanzvolumen von SC mit Sicherheit weit übersteigt. Ob hier Gerichte die gleichen Kriterien anlegen würden?

 

Das BAG macht somit einen gewissen Zirkelschluß: Wenn SC eine Weltanschauung wäre, würde die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der weltanschaulichen Zielsetzung zugute kommen. Aufgrund der wirtschaftlichen Zielsetzung ist SC aber keine Weltanschauungsgemeinschaft, deshalb dienen die Erträge auch keinen weltanschaulichen Zweck.

 

Im Hinblick auf bisherige, höchstrichterliche Rechtsprechung lassen sich weitere Zweifel an der BAG-Entscheidung sehen. Aus Artikel 4 GG sollen auch Gruppen oder Einrichtungen grundrechtsberechtigt sein, die sich von den Kirchen verselbständigt haben. Dies hat das BVerfG für einen nichtrechtsfähigen katholischen Jugendverein, privatrechtlich organisierte konfessionelle Krankenhäuser und Erziehungseinrichtungen, die als Körperschaften des Öffentlichen Rechts firmieren, zugestanden. Wenn der Grundrechtsschutz für Gruppen soweit ausgedehnt wird, die der Mehrheitsreligion zuzuordnen sind, aber schwerlich als Religionsgemeinschaften im Auge des objektiven Betrachters erscheinen, wird es unverständlich, daß bei Minderheitsreligionen restrektiv vorgegangen wird.

 

Zur kollektiven Religionsfreiheit gehört auch die Möglichkeit die eigene Gruppe und deren Ausbreitung durch wirtschaftliche Tätigkeit zu finanzieren. Eine objektive Bewertung, wann die Grenze von der zulässigen zur unzulässigen wirtschaftlichen Betätigung vorliegt, ist ohne Verletzung des Neutralitätsgebots kaum zu erwarten. Es würde sich, unter leicht veränderten Vorzeichen, wieder um eine Unterscheidung zwischen echten und unechten Glaubensgemeinschaften handeln. Gerade eine solche Unterscheidung ist aber nach h.M. im Rahmen des Art. 4 GG nicht zulässig.

Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, generell die wirtschaftlichen Vorteile und Begünstigungen, die mit dem Religionsstatus verknüpft sind, zu beschränken. Dies wäre ein milderes Mittel, als der Ausschluß von Gruppen aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG und hätte den Erfolg, das es für schein-religiöse Wirtschaftsunternehmungen keinen Sinn mehr machen würde, sich derartig zu tarnen.

 

Zwischenergebnis:. Die Annahme des überwiegenden Charakters einer Gruppe als Wirtschaftsunternehmen, das sich als Religion tarnt, darf demnach nicht zur Aberkennung des Statuses als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft führen. Dem Gesetzgeber steht es offen, die wirtschaftlichen und sonstigen staatlichen Vorteile für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu beschränken.

 

 

2.3.5. Verfassungsfeindlichkeit als Ausschlußgrund des Schutzbereiches Art. 4 GG

Ins Leere gehen auch die Bestrebungen, vermeintliche oder tatsächliche Verfassungsfeindlichkeit als Anhaltspunkt zu nehmen, diese im Selbstverständnis religiösen Gruppen aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG herauszunehmen. Hier müßte der Staat wieder eine Wertung treffen, die ihm in bezug auf Art. 4 GG nicht zusteht. Im Hinblick auf die Verbotsfrage ist diese Herangehensweise auch nicht hilfreich. Vielmehr muß man die Frage der Verfassungsfeindlichkeit im Licht des Art. 4 GG bei der Verbotsfrage stellen. Falsch wäre es, sie von vornherein als verfassungsfeindliche Gruppen dem Art. 9 I G und den Verbotskriterien von Art. 9 II GG zu unterstellen, da wiederum die priviligierte Stellung der Religionsfreiheit mißachtet würde. Einwände hiergegen, daß mit dem Religionsstatus auch andere Vorteile (z.B. im Steuerrecht) verbunden sind, lassen sich mit einem Blick auf die Parteien entkräften. Weltanschauungsgemeinschaften haben nach dem bisher vertretenen Standpunkt mindestens eine ähnliche geschützte Rechtsstellung in der Ordnung des Grundgesetzes, wie die Parteien.

Aber auch verfassungsfeindlichen Parteien wird der Schutzbereich des Art. 21 GG weiterhin zuerkannt, solange sie nicht verboten sind. DVU, REP und NPD gelten nach den Erkenntnissen der Verfassungsschutzämter als rechtsextrem bzw. verfassungsfeindlich. Trotzdem genießen sie das Parteienprivileg. Sie erhalten z.B. auch staatliche Wahlkampfunterstützung.

 

Die Finanzierung von "Verfassungsfeinden" durch den Staat mag zwar bedauerlich erscheinen, ist im Sinne des Gleichbehandlungsgebotes aber konsequent. Bei verfassungsfeindlichen Glaubensgemeinschaften gibt es keinen Grund anders zu verfahren. Die Privilegien aus ihrem Status als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft dürfen sie erst einbüßen, wenn sie trotz des Schutzcharakters des Art. 4 GG so evident gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen, daß ein Verbot grundgesetzlich legitimiert ist. Unter welchen Vorraussetzungen dies der Fall ist, wird nachfolgend erörtert.

 

 

3.3 Abschließende Bewertung - für eine weite Auslegung des Schutzbereich Art. 4 GG in bezug auf den Status als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft

 

Die vom Verfasser vertretende Position hinsichtlich Art. 4 GG und der daraus resultierende Grundrechtsschutz für religiöse und weltanschauliche Gruppen, geht über die bisherige Verfassungsgerichtsrechtsprechung hinaus. Die Absicht des BVerfG, den Schutzbereich des Art. 4 GG nicht völlig konturlos werden zu lassen, kann aus prinzipiellen Überlegungen nicht gefolgt werden. Zum einen hat der Staat sich so wenig wie möglich in die religiöse Privatsphäre seiner Bürgerinnen und Bürger einzumischen. Für wirtschaftliche Betätigung von weltanschaulichen Vereinigungen kann er Regelungen treffen, die den Grundrechtsschutz aus Art. 4 GG nicht einschneidend berühren. Die Aberkennung des Status nach Art. 4 GG wegen wirtschaftlicher Betätigung der Gruppen erscheint als Grundrechtseingriff, der der herausgehobenen Stellung der Religionsfreiheit zuwiderläuft. Sobald sich Exikutive, Legislative oder Judikative anmaßen, auf welche Art und Weise auch immer, zu definieren, wann eine Gruppe als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft gilt, ist der Minderheitenschutz des GG ebenso wie das Neutralitätsgebot, ja die Religionsfreiheit an sich stark gefährdet. Zumal eine gewisse Ungleichbehandlung anerkannter und anderer Religionsgemeinschaften nicht ganz unwahrscheinlich ist. Die Schutzfunktion, die in ihrem Status als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft liegt, dürfen verfassungsfeindliche Weltanschauungsgemeinschaften erst einbüßen, wenn sie trotz des Schutzcharakters des Art. 4 GG so evident gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen, daß ein Verbot grundgesetzlich erlaubt und geboten ist. Das Selbstbestimmungsrecht der Glaubensgemeinschaften - hier strikt von dem Status als solche zu unterscheiden - muß seine notwendige Begrenzung in den allgemein gültigen Gesetzen (Art. 137 III WRV) finden. Beschränkungen die Einzelnen oder Vereinigungen durch Gesetz auferlegt sind, finden auch hier Anwendung.

 

Der Politikwissenschaftler Jaschke kommt zu dem wohl richtigem Ergebnis, daß Scientology die Merkmale einer Weltanschauungsgemeinschaft erfüllt. Unabhängig davon ist nach der oben dargestellten Auffassung erst einmal vom Selbstverständnis der SC als Religionsgemeinschaft i.S.d. Art. 4 GG auszugehen. Diesen Status kann sie nicht durch Begrenzung des Schutzbereiches des Art. 4 GG, sondern nur über ein grundgesetzlich legitimiertes Verbot einbüßen.

 

 

4. Voraussetzungen für das Verbot verfassungsfeindliche Glaubensgemeinschaften

 

Gestützt auf die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung, ist das Verbot einer verfassungsfeindlichen Glaubensgemeinschaft grundgesetzlich durch Art. 9 II GG vorbehaltlich eines Ausführungsgesetzes legitimiert. Der Artikel 9 II GG führt 3 Verbotstatbestände auf. Zu prüfen ist, ob im Lichte des Art. 4 GG alle diese Tatbestände zu einem Vereinsverbot führen können. In der Gesamtschau wird zu überprüfen sein, ob sich für Religionsgemeinschaften eine Anwendung des Art. 21 II analog anbietet, da sie mancher Hinsicht eine ähnlich prädestinierte, verfassungsrechtliche Stellung einzunehmen scheinen, wie Parteien.

 

4.1 Verfassungsfeindlichkeit im Licht des Art. 4 und 9 II GG

 

4.1.1 kriminelle Vereinigung

Wenn der Verbandszweck oder die Tätigkeit einer Vereinigung den Tatbestand des Art. 9 II GG erfüllt, nämlich einem "Zuwiderlaufen gegen die Strafgesetze", können Vereinigungen im Sinne des Art. 9 I GG verboten werden. Für Parteien gilt dieses Kriterium hingegen nicht als Verbotstatbestand. Es ist allerdings anerkannt, daß gelegentliche Begehung von Straftaten nicht ausreicht, sondern die Vereinigung von der Begehung solcher Straftaten geprägt sein muß. In der Regel wird man eine solche Konstellation bei Weltanschauungsgemeinschaften nicht finden. Problematisch ist aber das innerverbandliche Wirken in sog. Sekten. Die Abschottung von Mitgliedern gegenüber Familienangehörigen, die Übereignung von privaten Vermögen an die entsprechende Glaubensgemeinschaft, usw. Wie weit wird das Selbstbestimmungsrecht der Mitglieder gewahrt. Wie weit kommt es zu Nötigung, Betrug, Erpressung oder Körperverletzung?

Alberts plädiert - gestützt auf BVerfGE 32, 98 - angesichts des drohenden Verbotes für eine Gemeinschaft, die diese vollständig aus dem öffentlichen Leben verbannen soll, dies nur unter sehr eng gesteckten Grenzen zu bejahen. Die Gemeinschaft müsse von der Begehung von Straftaten geprägt sein, deren Bedeutung, deren durch die Strafsanktion geschützten Rechtsgüter, mindestens denjenigen des Art. 4 GG entsprechen. Als Grundlage eines Verbotes hält er den Maßstab des Strafrechts für ungeeignet.

 

Scientology wird vorgeworfen, eine "kriminelle Vereinigung" bzw. "mutmaßlich terroristische Vereinigung" zu sein. Die Feststellung des wahren Sachverhalts erweist sich als schwierig. Weder konkurrierende Gegener einer "Sekte", noch sog. "Aussteiger" können ein objektives Bild abgeben. Auch geschehen viele problematische Dinge mit Einwilligung der Mitglieder solcher Gemeinschaften.

Kerner/Wittmann von der Universität Tübigung haben die "Gefährdungspotentiale von Scientology" untersucht. Hinsichtlich des Vorwurfs, eine Psychosekte zu sein, die ihre Mitglieder schwerwiegend beeinträchtigt, wird festgestelt:

"In der Gesamtbilanz ist hinsichtlich des Nachweises direkter Verursachung von Schäden festzustellen, daß hier ein solcher besonders von erheblichen oder langwierigen psychischen Folgen von Suiziden, von psychiatrischen Syndromen oder eher körperlichen Schadensbildern bisher nicht recht gelingen will." Weiter heißt es: "Der Vorwurf, daß auch Straftaten gezielt und systematisch begangen werden, konnte bisher regelmäßig fast nur für Ehrverletzungsdelikte belegt werden. Ermittlungsverfahren wegen Drohung, Körperverletzungen oder sogar Tötungsversuchen bzw. vollendeter Tötung gingen demgegenüber (jedenfalls in Deutschland) regelmäßig ohne Anklage oder Verurteilung aus, entweder insgesamt oder jedenfalls mit Blick darauf, daß die Scientology als Organisation impliziert (gewesen) wäre." Weitere Erhebung über SC-Aktivitäten, die Mitglieder in eine ausweglose Lage brächten und diese zu "extremen" Lösungen drängen, werden zwar angeraten, doch wird auch festgestellt, daß sich SC nach den verfügbaren Materialien "nicht als ‘kriminelle Vereinigung’ im Sinne des Strafrechts charakterisieren" lasse.

 

Nach bisherigen Erkenntnissen erfüllt SC den Tatbestand des Art. 9 II GG, eine krimminelle Vereinigung zu sein, nicht.

 

4.1.2. verfassungsfeindliche Bestrebungen

Die öffentliche Diskussion ist geprägt von dem Vorwurf der "Verfassungsfeindlichkeit". Die Selbsteinschätzung und Darstellung der SC weicht vom Bild, das Kritiker über sie verbreiten, sehr stark ab.

Die Lehre der Scientologen geht davon aus, daß jeder Mensch von einer "Überlebensdynamik" getrieben wird. Das Handeln und Denken der Menschen werde aber durch negative Eindrücke, die sich in einer Art Unterbewußtsein festgesetzt haben, beeinträchtigt. An bestimmten Körperstellen setzen sich zeitlose Geistwesen ("Thetanen") fest. Durch Psycho-Techniken ("Audeting") und Meßgeräten ("E-Meter") könnten diese Wesen lokalisiert und vom Körper losgelöst werden. Die Menschen würden dann "clear" von negativen Einflüssen, auch in bezug auf ihr Denken und Handeln. Durch weitere Psychoschulungen werde man sich seiner eigenen Existenz als Thetan bewußt und könne sein eigenes Koordinatensystem von Zeit, Raum, Energie und Materie schaffen und beherrschen. Eine wichtige Rolle spielt auch die "Ethik", die sich nicht am Prinzip humaner Sittlichkeit, sondern an einem Erfolgsprinzip für die eigene Gruppe orientiert. Ziel sei es den ganzen Planeten ( und das Universum) "clear" zu machen, d. h. dem scientologischen Einfluß zu unterwerfen.

In seinem Gutachten für die Regierung von Schleswig-Holstein stellt Abel fest, daß das "Menschen- und Gesellschaftsbild von Scientology den elemantaren Prinzipien der Gesellschafts- und Wertordnung des Grundgesetzes wiederspricht." Die SC-Ideologe erscheint ihm "nicht bloß als verfassungsfremd, sondern als verfassungsfeindlich." Obwohl Abel zur Kenntnis nimmt, daß SC nicht "expresis verbis eine andere Staatsform" will, geht er davon aus, daß die Ideologie und innere Struktur der SC auf die Gesellschaft der BRD übertragen werden könnte.

Ob dies die Anforderungen an "Verfassungsfeindlichkeit" i.S. einer "aktiv-kämpferischen Haltung" gegen die fdGO entspricht, darf bezweifelt werden. Auch hier müßte man Vergleiche zu anderen Religions- und Glaubensgemeinschaften ziehen dürfen und fragen, warum hier andere Wertungen vorgenommen werden. Oftmals müßte man, eine Nichtübereinstimmung zwischen dem Menschen- und Gesellschaftsbild des GG und den jeweiligen Glaubensgemeinschaften feststellen. Die Grenze zwischen "verfassungsfremd" und "verfassungsfeindlich" bleibt unklar. Die Untersuchung von Jaschke nennt Aspekte, die die Verfassungsfeindlichkeit von SC "nahelegen". Abschließend heißt es aber:

"Eine ganze Reihe von Indizien sprechen dafür, daß SC längerfristig verfassungsfeindlche Zielsetzungen vertritt und als totalitäre Organistaion Berührungspunkte mit dem politischen Extremismus aufweist. Allerdings muß diese Einschätzung auf Vorläufigkeit bestehen (...)"

 

Der Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 9 II GG, ist als identisch zum Begriff der "freiheitlich demokratischen Grundordnung" i.S.d. Art. 21 II GG anzusehen. Im KPD-Verbotsurteil hat das Bundesverfassungsgericht eine relativ enge Auslegung vorgegeben. Danach reiche es für ein Verbot nicht aus, wenn einzelne Vorschriften, ja selbst ganze Institutionen der Verfassung mit legalen Mitteln bekämpft werden, solange nicht jene obersten Grundwerte der freiheitlich demokratischen Grundordnung erschüttert werden. Sollte sich die Ablehnung der fdGO in der reinen Meinungsäußerung dieser Haltung beschränken, stellt dies noch keinen Verbotsgrund dar. Erst die aggressive, aktiv-kämpferische Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung, die planvolle Beeinträchtigung ihres Funktionierens mit dem Ziel ihrer Beseitigung, rechtfertige ein Verbot. Ob der Umgang mit Mitgliedern oder Kritikern der Organisation und die erklärten Ziele der SC den gesamten Planeten im scientologischen Sinn "clear" zu machen und einen bestimmten Prozentsatz bundesrepublikanischer Führungskräfte in Politik und Wirtschaft für Scientology zu gewinnen, dafür ausreichen darf bezweifelt werden.

 

Nach den gutachterlichen Feststellungen zu SC ist eine derartige aggressive, aktiv-kämpferische Haltung gegen die fdGO nicht bewiesen, liegt aber vorbehaltlich weiterer Erkenntnis im Bereich des Möglichen. Derzeit erscheint ein Verbot von Scientology nicht begründet.

 

4.1.3 Verstoß gegen den Völkerfrieden

Ein Verstoß gegen den Völkerfrieden wird SC, die ja international organisiert ist, nicht vorgeworfen. Deshalb wird auf eine nähere Überprüfung hier verzichtet. Das Kriterium erscheint, abgesehen von wenigen Ausnahmen, allerdings auch nicht geeignet, um ein Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu begründen. Es ist für Parteien in Art. 21 II GG auch nicht vorgesehen.

 

 

 

 

 

 

4.2 Ergebnis

Für die Anwendung eines Verbots von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften im Licht ihres besonderen Charakters aus Art. 4 GG kommt - abgesehen von wenigen Ausnahmen - wohl nur der Tatbestand der Verfassungsfeindlichkeit in Betracht. De facto deckt sich der Tatbestand eher mit dem des Art. 21 II GG, der das Verbot für Parteien regelt. Eine derartige enge Auslegung des Art. 9 II scheint durch Art. 4 GG geboten. Die Stellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im System des GG ist zumindest im Hinblick auf Verbotsmöglichkeiten analog der der Parteien.

 

 

 

 

5. Gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der SC-Ideologie anstatt Verbotsdiskussion - eine abschließende Bewertung

 

Scientology bewegt nach wie vor die Medienöffentlichkeit. In Kürze wird die Sektenenquette-Kommission des Deutschen Bundestages ihren Zwischenbericht vorlegen. Möglicherweise wird der die Diskussion um ein Verbot von Scientology neu entfachen. Spätestens in einem Jahr wird sich die Bundesinnenminister-Konferenz mit dem Thema befassen, denn dann liegen die Beobachtungsergebnisse der Verfassungsschutzämter vor.

 

Das juristische Ergebnis der vorliegenden Untersuchung läßt sich knapp zusammenfassen: Scientology ist eine autoritär organisierte Weltanschauungsgemeinschaft, deren Ideologie den Wertvorstellungen des GG nicht entspricht. Doch Verfassungsfeindlichkeit reicht nicht aus, um ein Verbot zu begründen. Die aktiv-kämpferische Haltung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung ist bisher der SC noch nicht nachgewießen worden. Derzeit wird versucht ihr den Charakter einer Weltanschauungsgemeinschaft abzusprechen, andere westliche Staaten erkennen sie als Religion an oder lehnen eine Beobachtung durch Geheimdienste ab.

 

Im Konkurrenzkampf der religiösen Bewerber tut sich der Staatsapparat schwer, die vom Grundgesetz gebotene Neutralität zu waren. Die Verfassung gebietet aber sowohl einen starken Schutz, wie auch die rechtliche Gleichbehandlung von religiösen Gruppierungen. Das auch die Minderheitenreligionen versuchen, die Vorrechte der Großkirchen zu erlangen, verwundert nicht. Der Gesetzgeber wäre hier gefordert, die Drittwirkung der Grundrechte auch für alle (!) Religionsgemeinschaften, die sich unter dem Dach des Grundgesetzes versammeln, durchzusetzen und bestimmte Privilegien zu überdenken. Möglicherweise nimmt ihm die Europäische Gemeinschaft auch diese Aufgabe früher oder später ab.

 

Nach der hier vertretenen Auffassung muß Scientology der Schutz des Art. 4 GG für ihren Status zugebilligt werden, da der Staat nicht entscheiden soll oder darf, was eine Religion oder Weltanschauung ist und was nicht.

 

Das Grundgesetz selbst gibt eine Verbotsmöglichkeit für Glaubensgemeinschaften her. Die Kritieren hierfür müssen sich allerdings im Licht der Religonsfreiheit messen lassen. Im Kern beruhen als juristischen Verbots-Begründungsmöglichkeiten, die die Art. 9 II GG als Schranke für Art. 4 sehen, entweder unmittelbar oder über den "Umweg" durch Art. 137 III WRV oder die, die auf die Gesamtordnung der Verfassung abstellen, auf dem Konstrukt der "wehrhaften Demokratie".

 

Die grundgesetzliche Möglichkeit eines Verbots sagt noch nichts über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit aus, dieses Instrument auch einzusetzen. Seit den 50er Jahren wurde in der Bundesrepublik kein Verbot gegen Parteien mehr verhängt. Die Wirkung wird wohl zurecht als sehr beschränkt eingeschätzt. Außerdem muß ein Verbot -als heftigster Eingriff in Grundrechte -immer erst die "ultima ratio" sein.

 

Ein historischer Rückblick auf frühere Sekten-Debatten sollte zu mehr Gelassenheit mahnen. Die verschiedensten Gruppen, von denen heute kaum noch jemand spricht, waren - ließt man die journalistischen Auseinandersetzungen - schon kurz davor den Untergang des Abendlandes zu bewerkstelligen. Fast alle existieren noch, haben sich nicht gebessert aber auch keinen nennenswerten Zulauf mehr.

 

Ob Verbote überhaupt nützen, darf bezweifelt werden. Nach einem Verbot werden oft - wie das Beispiel rechtsradikaler Gruppen zeigt - effizientere und noch schwerer zu kontrollierende Strukturen aufgebaut. Viele westliche Demokratien kennen zumindest für Parteien überhaupt keine Verbotsmöglichkeit und sind trotzdem in ihrem Bestand nicht gefährdet.

 

Das Gefährliche an Scientology ist ja nicht nur ihre Organisation, sondern die menschenverachtende, sozialdarvinistische Ideologie. Sie findet Anknüpfungspunkte in profitorientierten, marktliberalen Gedankengebäuden, die in weiten Teilen der Gesellschaft bereits verbreitet sind und gesellschaftlich-demokratische Einflußnahme ausschalten wollen. Eine solche Ideologie, kann man, wenn sie auf fruchtbaren Boden fällt, nicht mehr per Verbot aus der Welt schaffen.

 

Der Staat alleine wird seine Ordnung nicht verteidigen können. Ein breiter, demokratischer Grundkonsens in der Gesellschaft ist wirksamer als jeder Verbotsversuch. Eine demokratische Gesellschaft verkraftet auch extreme, verfassungsfeindliche Gruppen ohne größere Probleme. Deshalb muß es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung geben, die die scientologische Ideologie bekämpft. Wenig hilfreich ist es eine multimediale Hexenjagd auf die Scientologen zu starten. Die wehrhafte Demokratie muß von streitbaren, aufgeklärten Demokraten selbst verteidigt werden und zwar gegen alle Gruppen mit autoritären, menschverachtenden und sozialdarwinistischen Weltbildern im Kopf.