Kompetenzverteilung im deutschen Föderalismus

- Bund und Länder im Konflikt

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung *

2 Historischer Überblick *

2.1 Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert *

2.2 Gründung der BRD nach 1945 *

3 Strukturmerkmale des deutschen Föderalismus *

3.1 Zwei Bundesparlamente - 16 Landesparlamente *

3.1.1 Der Bundesrat - wirklich ein Parlament? *

3.1.2 Der Bundesrat als Machtfaktor *

3.1.3 Schwache Landesparlamente *

3.2 Bundesgesetzgebung *

3.2.1 Grundzüge der Gesetzgebungskompetenz *

3.2.2 Streitpunkt "konkurrierende Gesetzgebung" *

3.2.3 "Bundesrecht bricht Landesrecht" *

3.3 Finanzverfassung *

3.3.1 Vier Verflechtungspunkte *

3.3.2 Entflechtungsversuche *

4 Reformbedarf - Reformvorschläge - Reformwille *

4.1 Richtungsstreit der Reformer und Reformwille *

4.2 Neugliederung der Bundesländer *

4.2.1 Rechtliche Verankerung *

4.2.2 Notwendigkeit einer Neugliederung *

4.2.3 Mögliche Neugliederung und ein gescheiterter Versuch *

4.3 Finanzverfassung *

4.3.1 Reformbedarf *

4.3.2 Änderungsvorschläge *

5 Zusammenfassung *

6 Quellen- und Literaturverzeichnis *

 

  1. Einleitung
  2. Wo kommt der deutsche Föderalismus eigentlich her? Was macht ihn heute aus? Und wohin soll er sich einmal entwickeln?

    Antworten auf die ersten beiden Fragen zu finden, gestaltet sich noch relativ leicht. Historiker haben aus vielen Blickwinkeln die staatliche Entwicklung Deutschlands beleuchtet. Auch wissen viele Autoren vieles über die heutige Bundesrepublik zu schreiben.

    Doch sobald sich die Frage nach Perspektiven stellt, sobald die angehäuften Kritikpunkte zur Gegenwart nach Lösungsansätzen rufen, werden die Aufsätze kürzer und die Formulierungen schwammiger. Lediglich im Bereich der Finanzverfassung bekommen Reformvorschläge Konturen, weil Finanzexperten sich die Mühe gemacht haben, ihre Konzepte einmal durchzurechnen.

    Eine große Vision von einem neuen Deutschland, von einer Neugestaltung insbesondere nach der Wiedervereinigung, fehlt. Es ist geradezu erstaunlich, daß die im demokratisch-föderalistischen Spektrum angesiedelten Autoren das aktuelle System grundsätzlich nicht in Frage stellen, sondern sich lediglich bestimmte Problemfelder vorknöpfen.

     

  3. Historischer Überblick
    1. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert
    2. Schon im Mittelalter gab es vorsichtige Versuche, Deutschland föderal zu organisieren. Von 843 bis 1806 existierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, dem zeitweise bis zu 300 Territorien angehörten. Es war im weiteren Sinne ein Staatenbündnis, das auf einem Feudalsystem beruhte. Kleinstaaterei und Partikularismus prägten aber dieses Reich, so daß es nie den Charakter eines Nationalstaates bekam. Die nachfolgenden Gebilde Deutsches Reich (bis 1806), Rheinbund (unter Napoleon) und der Deutsche Bund (ab 1815) waren zwar mehr als nur Staatenbündnisse, litten aber unter einer mangelhaft ausgebildeten Zentralgewalt. Der 1871 geschaffene Bundesstaat wurde oft als "Pseudoföderalismus" bezeichnet. Von seiner Struktur her wies dieser Staat zwar zahlreiche föderale Merkmale auf, doch durch die übermäßige Privilegierung Preußens, kann man nur schwer von einem echten Föderalismus sprechen.

      Auch die Weimarer Republik schaffte den Sprung zum Föderalismus nicht, sie war vielmehr ein dezentralisierter Einheitsstaat. Der Reichstag (vom Volk gewähltes Bundesparlament) gewann an Stärke, wobei gleichzeitig der Reichsrat (Länderkammer) an Macht verlor. Der Reichsrat konnte Gesetze des Reichstages nur noch zurückweisen, doch der Reichstag hatte die Möglichkeit, Einsprüche des Reichsrates relativ leicht zu überstimmen. Auch die Finanzverfassung begünstigte den Bund. Noch 1919 wurde eine Reichsfinanzverwaltung aufgebaut, die auch die geringen Ländersteuern einzog.

    3. Gründung der BRD nach 1945

    Nach dem zweiten Weltkrieg drängten die westlichen Siegermächte darauf, Deutschland föderal zu organisieren. Für die Siegermächte war die machtverteilende Wirkung des Föderalismus wichtig. Sie sahen ihn auch als Mittel der Demokratiestabilisierung und Friedenssicherung an. Für die USA war es bedeutend, daß ihre Vorstellungen von Föderalismus bei der deutschen Neukonstituierung Pate standen, den Briten war ihre Tradition der kommunalen Selbstverwaltung wichtig, und die Franzosen legten ihr Hauptaugenmerk auf eine Machtauflösung durch Einführung mehrerer ausbalancierter politischer Zentren. Bei der willkürlichen Ziehung der Ländergrenzen durch die Alliierten entstanden dann fast nur Kunstprodukte. Daß ein föderalistisches System dazu dient, bei einer heterogenen Gesellschaft eine strukturelle, immer überstimmte Minderheit zu vermeiden (West-Deutschland war eher homogen strukturiert), wurde nicht berücksichtigt.

     

  4. Strukturmerkmale des deutschen Föderalismus
    1. Zwei Bundesparlamente - 16 Landesparlamente
      1. Der Bundesrat - wirklich ein Parlament?
      2. Der Bundesrat unterscheidet sich strukturell ganz erheblich vom Bundestag und den 16 Landesparlamenten. Seine Mitglieder werden nicht vom Volk gewählt, sondern von den jeweiligen Landesregierungen entsandt. Sie sind darüber hinaus auch an ein imperatives Mandat gebunden, unterliegen der Weisung ihrer Regierung. Die Stimmenanzahl, die ein Land im Bundesrat hat, hängt von den Bevölkerungszahlen ab. Demnach kann ein Land zwischen drei und sechs Stimmen haben, die bei Abstimmungen einheitlich (meist durch einen Stimmführer) abgegeben werden müssen.

        Durch das imperative Mandat seiner Mitglieder und die einheitliche Stimmabgabe eines Landes bedingt kommt es selten zu Kontroversen im Bundesrat. Die Positionen der Länder sind durch Kabinettsbeschlüsse vorher klar abgesteckt. Konflikte zwischen den Landesregierungen werden oft im Vorfeld abgeklärt. Als Folge davon nimmt die Öffentlichkeit nur geringen Anteil an den Diskussionen im Bundesrat.

        Umstritten ist, ob der Bundesrat als Parlament anzusehen ist. Klaus von Beyme führt dazu an, daß dem Bundesrat Sonderkontrollrechte (vgl. US-amerikanischer Senat) fehlen. Die Zensierung von Regierungsvorlagen im ersten Durchgang erfolgt über die Ausschußverhandlungen nur indirekt. Beyme bescheinigt dem Bundesrat nur einen halbparlamentarischen Charakter. Nach Stegmann fehlen dem Bundesrat typische Merkmale eines Parlaments: Keine Regierung ist ihm verantwortlich, es fehlen hitzige Debatten - eine Aufteilung in "Regierung" und "Opposition" ergibt sich nur mittelbar.

      3. Der Bundesrat als Machtfaktor
      4. Der Bundesrat ist nicht nur der Gegenpol der Länder gegenüber Bundestag und Bundesregierung. Gerne wird er auch für parteitaktische Manöver genutzt. SPD- wie CDU-geführte Länder stimmen ihre Positionen nicht nur nach Länderinteressen, sondern auch nach Parteiinteressen ab. Haben die Oppositionsfraktionen des Bundestages über ihre Parteien bzw. die Landesregierungen, denen sie angehören, im Bundesrat eine Mehrheit, entsteht eine Blockademacht. Bundespolitische Interessen werden so in die Landespolitik und auch die Landtagswahlkämpfe getragen. Koalitionen werden in den Ländern auch mit Blick auf Machtveränderungen im Bundestag geschlossen. Der Bundesrat wirkt so indirekt gegen den Föderalismus. Dazu Klaus von Beyme: "Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern werden mit zunehmender Polarisierung im System mehr und mehr zu Parteistreitigkeiten, die im Gewand des föderalistischen Streits verfassungsrechtlich ausgetragen werden."

        Jedoch wird der Bundesrat nicht zu einem "Grab für Gesetzesinitiativen". Im Vergleich zu echten Zwei-Kammer-Systemen ist die Zahl der Einsprüche verhältnismäßig gering. Der Bundesrat kann von Bundesregierung und Bundestag vorgelegte Gesetze nur als Ganzes behandeln und bei Nichtgefallen verwerfen. Um den Konflikt zu begrenzen, sind Regierung und Regierungskoalition oft zu Zugeständnissen bereit.

      5. Schwache Landesparlamente

      Die Landesparlamente haben im deutschen Föderalismus eine schwache Stellung. Der Bund nutzt seine Spielräume innerhalb des Grundgesetzes, möglichst viele Gesetzgebungskompetenzen an sich zu ziehen, was zu einer Schwächung der Länder insgesamt führt. Vor allem im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung war der Bund bisher extensiv tätig (vgl. 3.2.2).

      Die vertikale Politikverflechtung (Bund-Länder-Kooperation) geht direkt zu Lasten der Landesparlamente, da die Kooperation zwischen Regierungen stattfindet (weitgehend ohne Gestaltungsmöglichkeiten der Parlamentarier), und die Parlamente die Verhandlungsergebnisse anschließend nur annehmen oder ablehnen (aber nicht gestalten) können.

      Das föderale Korrektiv auf Bundesebene (der Bundesrat) ist ein Repräsentant der Landesregierungen und damit der Exekutive (nicht der Landesparlamente), hat aber eine legislative Funktion. Dadurch wirken zwar die Länder als solche an der Bundesgesetzgebung mit, aber eben nicht die Parlamentarier der Länder (Art. 50, 51, 70 ff GG). Beschlüsse der Landesparlamente hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens des Landes im Bundesrat sind nicht bindend. Landesparlamentarier können allerhöchstens indirekt Einfluß nehmen, zum Beispiel als Angehörige einer Regierungsfraktion über Regierungsmitglieder.

       

    2. Bundesgesetzgebung
      1. Grundzüge der Gesetzgebungskompetenz
      2. In Kapitel VII des Grundgesetzes (Artikel 70 bis 82) wird die Gesetzgebung des Bundes festgeschrieben. Dabei ist als bemerkenswert hervorzuheben, daß grundsätzlich die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt, soweit das Grundgesetz dem Bund nicht entsprechende Befugnisse zugesteht (Art. 70.1 GG). In den Artikeln 71 ff. steckt das Grundgesetz den Bereich ab, in dem der Bund seine Gesetzgebungskompetenz hat. Dabei unterscheidet das Grundgesetz zwischen "ausschließlicher Gesetzgebung des Bundes", "konkurrierender Gesetzgebung des Bundes" und "Rahmengesetzgebung des Bundes". Bei der Gesetzgebung des Bundes wirken die Länder über den Bundesrat mit (Art. 50 GG).

         

      3. Streitpunkt "konkurrierende Gesetzgebung"
      4. Immer wiederkehrender Streitpunkt im Kräfteverhältnis zwischen Bund und Ländern ist die "konkurrierende Gesetzgebung" (Art. 72, 74, 74a GG). Der Bund hat das Recht, unter bestimmten Bedingungen (zum Beispiel: Sicherung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse) Gesetze in Bereichen zu schaffen, die in den Artikeln 74 und 74a Grundgesetz katalogartig in 29 Absätzen umfassend von bürgerlichem Recht über Wirtschafts- und Arbeitsrecht bis zur künstlichen Befruchtung festgelegt sind. Nutzt der Bund diese Möglichkeit nicht, so ist es Sache der Länder, tätig zu werden. Hier entsteht ein Spannungsfeld zwischen Unitarismus und Föderalismus, das nach Ansicht des langjährigen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) zum Unitarismus tendiert. Er spricht sogar von einer "Auszehrung des Föderalismus". Die politisch relevante Gesetzgebung der Länder wird auf die Bereiche Kultur und Verwaltung eingeengt. Abromeit stellt sogar den Begriff "konkurrierende Gesetzgebung" in Frage, weil das Grundgesetz gar keine Konkurrenz zulasse. Sobald der Bund die betreffende Materie an sich ziehe, erlischt die Zuständigkeit der Länder. Die innenpolitisch interessanten Bereiche gehören "zum Bereich der überlappenden Gesetzgebung", der Bund hat seine Möglichkeiten bei der konkurrierenden Gesetzgebung weitgehend ausgeschöpft und legte seine eigene Zuständigkeit großzügig aus, wenn es um Sachzusammenhänge ging, so daß es zu einem "zunehmenden Ausgreifen der Bundesgesetzgebung" bei entsprechendem "Schrumpfen des landespolitischen Gestaltungsspielraumes" gekommen ist.

         

      5. "Bundesrecht bricht Landesrecht"

      Bundesrecht hat grundsätzlich Vorrang vor Landesrecht, was im Grundgesetz kurz und knapp geregelt ist: "Bundesrecht bricht Landesrecht." (Art. 31 GG). Dieser Rechtsgrundsatz ist typisch für einen Bundesstaat, durch den er sich von einem Staatenbund unterscheidet. Der Rechtsgrundsatz des Artikels 31 gilt unabhängig von der Normqualität des Rechts: So kann eine Bundesverordnung eine Landesverfassungsbestimmung außer Kraft setzen.

       

    3. Finanzverfassung
    4. Die deutsche Finanzverfassung geht davon aus, daß Bund und Länder eigene Einnahmen haben, sowie mit einer eigenständigen Haushaltswirtschaft ihre Aufgaben selbst finanzieren. Dem gegenüber steht Artikel 106.3 GG mit der Forderung nach der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" im Bundesgebiet, was dazu zwingt, die regionalen Unterschiede auszugleichen. Als Folge dieses Spannungsverhältnisses entstehen Verflechtungen zwischen den drei Staatsebenen (Bund, Länder, Kommunen). Dieser "Verbundföderalismus" entstand quasi als vorprogrammierte Konsequenz von 1949 an.

       

      1. Vier Verflechtungspunkte
      2. a) Aufteilung der Steuern nach politischen Ebenen

        Bund, Länder und Kommunen haben eigene Steuereinnahmen, nicht aber unbedingt eigene Steuern. Auffällig ist die hohe Zahl gemeinschaftlicher Steuern. Je nach Steuerart teilen sich die drei Staatsebenen die Einnahmen aus einer Steuer.

        b) Horizontaler und vertikaler Finanzausgleich

        Mit dem horizontalen Finanzausgleich werden Reichtumsunterschiede zwischen den Bundesländern geglättet. Zwischen 1,2 Mrd. DM (1970) und 4,02 Mrd. DM (1990) werden jährlich unter den Ländern ausgetauscht. Bis einschließlich 1994 galten für die neuen Bundesländer Sonderregelungen auf Basis des Einigungsvertrages von 1990. (Die Aufnahme der neuen Bundesländer in das System des Länderfinanzausgleichs ab 1995 wurde an dieser Stelle noch nicht berücksichtigt.)

        Darüber hinaus gewährt der Bund seit 1970 finanzschwachen Ländern Ergänzungszuweisungen nach 107.2 GG (vertikaler Finanzausgleich).

        c) Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a/b GG und Mitfinanzierung durch den Bund nach Art. 104a.4 GG

        Im Rahmen von Gemeinschaftsaufgaben können Bund und Länder verschiedene Problemfelder (z.B. Hochschulen, regionale Wirtschaftsstruktur) gemeinsam angehen. Diese Verflechtung erfordert das Konsensprinzip, das zu einer Lähmung bei Entscheidungsprozessen führt. Einmal gefundene Kompromisse werden aufgrund des hohen Aufwandes nur ungern korrigiert, auch wenn sie sich als nicht problemadäquat herausstellen.

        Eine Gefahr für die Entscheidungsautonomie der Länder (und auch der Kommunen) ist die Mitfinanzierung von Landes- und Kommunalaufgaben durch den Bund nach Artikel 104a.4 Grundgesetz. Der Bund kann die Länder und Gemeinden bei der Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben quasi an goldene Zügel nehmen. Landesregierungen können in den Fördermitteln des Bundes nicht nur eine finanzielle Entlastung sehen. Da Politiker solche Mittel nur sehr ungern verfallen lassen, können die Landesregierungen über die "Angebotsdiktatur" des Bundes den jeweiligen Landesparlamenten ihren Haushaltsplan leichter schmackhaft machen.

        d) Konjunkturpolitische Koordinierung nach Art. 109 GG

        Um Störungen im wirtschaftlichen Gleichgewicht abzuwenden, kann durch ein Bundesgesetz die Haushaltswirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden angeglichen werden. Diese 1969 in das Grundgesetz eingefügte Regelung hat das föderale finanzwirtschaftliche Trennsystem weiter untergraben.

      3. Entflechtungsversuche

    1981 einigten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern auf eine Entflechtung der Finanzstruktur zwischen den Gebietskörperschaften. Mehr Eigenständigkeit von Ländern und Kommunen im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und der Begriff "Konkurrenzföderalismus" waren im Gespräch. Die Wirkungen blieben weitgehend aus, wobei mehrere Gründe eine Rolle spielten. Die Dezentralisierung ging nicht mit einer Stärkung der Einnahmeautonomie der Länder einher. Darüber hinaus wurden Länderkompetenzen durch das Fortschreiten der europäischen Integration eingeengt.

  5. Reformbedarf - Reformvorschläge - Reformwille
    1. Richtungsstreit der Reformer und Reformwille
    2. Seit Bestehen der Bundesrepublik stehen Diskussionen über die föderale Ordnung auf der Tagesordnung. Trotz aller Grundgesetzänderungen blieb eine tiefgreifende Reform aus. Ein Konsens über die Richtung der Reformen fehlte bisher. Während Politiker sich zur Eigenständigkeit der Länder bekannten, was Abromeit "Sonntagsreden" nennt, rückte die Wirklichkeit Stück für Stück durch Modifikation des politischen Prozesses ohne Änderungen der Verfassung in Richtung Zentralismus ("stiller Verfassungswandel"). Offensichtlich bestehe ein entsprechender Anpassungswandel, meint Lhotta. Die politischen Akteure streben auch nicht ein Mehr an Föderalismus an - selbst die Vertreter der Länder nicht. Die Landesregierungen haben es zu schätzen gelernt, indirekt im Bund mitregieren zu können.

       

    3. Neugliederung der Bundesländer
      1. Rechtliche Verankerung
      2. Bereits bei der Gründung der Bundesrepublik ist eine möglicherweise notwendige Neugliederung einkalkuliert und in Art. 29 GG vorgesehen worden. Schon vor der Staatsgründung 1949 überreichten die Militärgouverneure der Westzone am 1. Juli 1948 den Ministerpräsidenten der Länder die "Dokumente zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands" - bekannt als "Frankfurter Dokumente" - in denen sie die Regierungschefs ersuchten, die Ländergrenzen - vor allem hinsichtlich der Größe der Länder - zu überprüfen.

      3. Notwendigkeit einer Neugliederung
      4. Zuständigkeiten und staatsrechtliche Konstruktion überfordern die Kraft vieler kleinerer Bundesländer - eine Gebietsreform wäre angebracht. Die schwachen Länder büßen Teile ihrer politischen Handlungsfähigkeit ein, was tendenziell zu einer Übermacht zentralstaatlicher Instanzen und einer schleichenden Aushöhlung des Föderalismus führt. Trotz Finanzausgleich erweist sich die ungleiche Stärke der Länder als "Achillesferse" gegenüber der Einflußnahme des Bundes (vgl. auch 3.3.1). Die Reform ist auch notwendig, weil - paradoxerweise - die schwachen Bundesländer die stärkeren politisch übertrumpfen können. Schließen sie sich im Bundesrat zusammen, so haben sie schnell die Stimmenmehrheit. Abromeit allerdings meint, für einen "in der Wolle gefärbten Föderalisten sträuben sich bei der Erwähnung eine Neugliederung die Nackenhaare". Was solle man von einer Föderation halten, die je nach wirtschaftlicher Struktur etwa alle 30 Jahre umgemodelt wird? Beinhalten Reformvorschläge dann auch noch Zusammenschlüsse ost- und westdeutscher Territorien, so werden landesspezifische Identitäten verkannt. Außerdem hätte das neu gebildete Land mit einer inneren wirtschaftlichen Schieflage zu kämpfen, die einen landesinternen Finanzausgleich notwendig macht.

      5. Mögliche Neugliederung und ein gescheiterter Versuch

      Historisch betrachtet steht einer Neugliederung kaum etwas im Weg. In weiten Teilen sind die deutschen Bundesländer Kunstprodukte (vgl. 2.2). Angeregt durch finanzielle Schwierigkeiten der norddeutschen Länder ist beispielsweise immer wieder ein großer Nordstaat im Gespräch. Nach der Wiedervereinigung nahm ein neues Land Berlin-Brandenburg Konturen an. Am 5. Mai 1996 entschieden sich die Brandenburger in einer Volksabstimmung mit klarem Votum gegen eine Länderfusion mit Berlin.

       

    4. Finanzverfassung
      1. Reformbedarf
      2. Vor allem im Bereich der Finanzverfassung drängen Reformen des deutschen Föderalismus. Grundsätzliche Länderaufgaben sind kaum noch finanzierbar, selbst die reichen Bundesländer leiden inzwischen unter großen Haushaltsdefiziten (und das erst seit 1995, als die neuen Länder in das Ausgleichssystem mit einbezogen wurden), was insgesamt die Eigenstaatlichkeit der Länder berührt. Fraglich ist damit, ob der Länderfinanzausgleich auf Dauer überhaupt noch finanzierbar ist.

        Das heutige System bewirkt, daß Länder und Bund versuchen, sich aneinander schadlos zu halten. Außerdem ist es auch extrem kompliziert, unsystematisch und schwer zu durchschauen. Der hohe Nivellierungsgrad im Ausgleichssystem schafft Anreizprobleme - 99,5 Prozent werden finanzschwachen Ländern als Mindestausstattung garantiert. Länder, die ihre Finanzkraft erhöhen, haben so selbst nur wenig davon. Zugleich werden bei den Ländern konsumptive Ausgaben gegenüber den investiven begünstigt. Auch aus demokratischen Erwägungen ergibt sich ein Reformbedarf: Die politische Verantwortung für die öffentlichen Aufgaben sowie für ihre Finanzierung fallen auseinander, so daß die jeweiligen Schuldanteile an Krisen im unklaren bleiben.

      3. Änderungsvorschläge

    "Es kommt aber nicht nur darauf an, den Ländern insgesamt eine angemessene Finanzkraft zu verschaffen; sie muß vielmehr für jedes einzelne Land sichergestellt werden." Diese Forderung des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesfinanzminister setzt bei einem Kernpunkt von Abromeits Kritik (vgl. 4.3.1) an. Die Länder müssen gestärkt werden, jedes einzelne muß finanziell eigenständig überlebensfähig sein, so daß letztlich auch keine Zweifel an der Eigenstaatlichkeit der deutschen Bundesländer mehr entstehen. Einen wesentlichen Ansatz dafür nennt die Expertengruppe im Kapitel "Erweiterte Steuerautonomie für die Länder". Dort wird eine weitgehende Autonomie nicht nur für die Ausgaben, sondern auch für die Einnahmen gefordert. Darin sei "ein konstitutives Element des Bundesstaates" zu sehen. Zwar sehen die Gutachter nur wenige Möglichkeiten, den Bundesländern selbstbestimmte Steuereinnahmen zu verschaffen, machen aber einige konkrete Vorschläge - Beispiel: So könnten die Tarife für Einkommens- und Körperschaftssteuer gesenkt werden, gleichzeitig werde den Ländern die Kompetenz eingeräumt, innerhalb einer Bandbreite Zuschläge zu diesen Steuern zu erheben.

    Mit ihren Vorschlägen laufen die BMF-Experten bei vielen Wissenschaftlern grundsätzlich offene Türen ein. "In gewissen Grenzen ein eigenes Besteuerungsrecht" will Bernd Huber den Ländern einräumen. Er erhofft sich dadurch eine "finanzpolitische Disziplinierung der Bundesländer". Grundsätzlich für denkbar hält Wolfgang Luthardt sogar eine weitgehende Auflösung des Bund-Länder-Finanzausgleichs. Allerdings formuliert er Vorbehalte: So müsse eine insgesamt ausreichende Steuermasse verfügbar sein, und das Ausgleichssystem müsse insgesamt komplett reformiert werden. Ansonsten befürchtet er vor allem für die neuen Bundesländer erhebliche negative Konsequenzen, da diese noch immer große Infrastruktur-Aufgaben zu lösen haben.

     

  6. Zusammenfassung
  7.  

    Der deutsche Föderalismus hat Macken - und je nachdem wie man diese Macken interpretiert, kann man zu dem Ergebnis kommen, daß es sich um gar keinen Föderalismus handelt.

    Zwar war Deutschland über Jahrhunderte in Einzelstaaten gegliedert, doch handelte es sich nie um eine echte Föderation. Der deutsche Föderalismus, so er denn heute einer ist, entstand erst 1949.

    Die Bundesländer sind schwach, ihre Gesetzgebungskompetenz sehr eingeschränkt. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung hat der Bund schon fast alles an sich gezogen. Sind die Bundesländer wirklich Staatsgebilde?

    Das Finanzsystem ist derartig verflochten, so daß nur noch wenige Experten den Überblick behalten. Eines wissen aber alle: Die Bundesländer haben finanziell kaum Spielräume, weil sie keine eigenen Steuern frei erheben dürfen. Auch hier stellt sich noch einmal die Frage nach der Eigenstaatlichkeit.

    Unter anderem finanzielle Aspekte sprechen für eine Länder-Neugliederung. Anderer gibt es zahlreiche Argumente dagegen. Ein echter Konsens in der Gesellschaft konnte so bei diesem Thema nicht erreicht werden. Vor allem jedoch ist politisch nicht geklärt, ob mehr Unitarismus oder mehr Föderalismus als erstrebenswert anzusehen ist.

     

  8. Quellen- und Literaturverzeichnis

a)

b)