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Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographie


Abkürzungsverzeichnis


AP Ausgangspartner
dA direkte Antwort
E Empfänger
GK Gruppenkommunikation
M Medium
mA mediale Antwort
R Rezipient
repr. repräsentierter
RK Repräsentanz-Kommunikation
SE Sender
V Vermittler
VS Vermittlungssystem
ZP Zielpartner

Die Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neumann und das Massenkommunikationsmodell nach Hans Wagner im Vergleich - so vielversprechend der Titel klingen mag, er muß gleich eingeschränkt werden. Denn neben dem begrenzten Platz zur Darstellung der beiden Theorien, die beiden Abschnitte werden entsprechend kurz, bündig und - hoffentlich - auf die entscheidenden Bestandteile konzentriert sein, ist auch im dritten Teil, dem Vergleich, keine umfassende Analyse, sondern nur die Gegenüberstellung bezüglich eines Strukturelements zu erwarten.

Ausgewählt habe ich hierfür die " Öffentlichkeit ", v.a. das Problem, wie Öffentlichkeit von den Medien vermittelt wird. Da beide Modelle über das herkömmliche Schema Kommunikator - Medium - Rezipient hinausgehen und nach der Einordnung des Mediensystems in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang suchen, dürfte dieser Punkt vergleichsweise am interessantesten sein. Insbesondere die Stellung und das Selbstverständnis des Journalisten, Redakteurs, Reporters, kurzum des klassischen Kommunikators in dieser erweiterten Sichtweise von Massenkommunikation, dürfte von besonderem Interesse sein.

Auch weil sich hier Parallelen ergeben: neben der Tatsache, daß beide Theorien von deutschen Kommunikationswissenschaftlern entwickelt wurden - und zwar keinen unbedeutenden, die eine bis 1983 Leiterin des Mainzer Instituts für Publizistik, der andere eben vom Vorstand des Münchner Instituts für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) zum Dekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät aufgestiegen - haben beide Ansätze auch zu teilweise heftiger Kritik geführt, wegen des Journalistenbildes auch über die Fachgrenzen hinaus und so zu politischen und gesellschaftlichen Diskussionen angeregt.[1]

Wie diese Reaktionen zu erklären sind und ob die gleichen Folgen in gleichem Ursachen ihren Ursprung haben, soll im folgenden näher untersucht werden.

1 Die Schweigespirale

1.1 Isolationsfurcht


Eine der wichtigsten Voraussetzungen der Schweigespirale ist die Isolationsfurcht. Sie ist eigentlich ein Phänomen der Sozialpsychologie, wurde aber von Elisabeth Noelle-Neumann für die Kommunikationswissenschaft entdeckt. Sie stützt sich dabei im wesentlichen auf Experimente, die Solomon Ash in den fünfziger Jahren in den USA durchgeführt hatte[2]

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Die Aufgabe bestand darin, aus drei verschieden langen Linien diejenige herauszufinden, die in der Länge mit einer daneben abgebildeten Vergleichslinie übereinstimmt. Die Anordnung war so eindeutig aufgebaut, daß die Lösung kein Problem darstellte, was sich in den ersten Versuchsreihen mit mehreren unabhängigen Versuchspersonen auch bestätigte. Jetzt wurde aber das Experiment dahingehend abgeändert, daß nur noch eine Versuchsperson wirklich unabhängig war, die anderen neun anwesenden Personen, die mitraten sollten, waren vorher eingeweiht worden und gaben gezielt falsche Antworten. Und genau das war das Forschungsinteresse, wie würde diese eine, naive Personen angesichts der falschen Mehrheitsmeinung reagieren? Das Ergebnis war eindeutig: 20% der so auf die Probe gestellten Personen blieben unverrückbar bei ihrer Meinung, weitere 20% schwankten und folgten bei verschiedenen Durchgängen der Mehrheit in anderen nicht, 60% aber folgten immer der Mehrheitsmeinung, obwohl sie offensichtlich falsch war!
Die Erklärung für dieses Phänomen: Der Mensch ist ein soziales Wesen, fürchtet sich deshalb vor Isolation und ist bereit, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen, auch wenn es gegen die eigene Beobachtung spricht.[3]

1.2 Öffentliche Meinung


Elisabeth Noelle-Neumann definiert in diesem Zusammenhang den Begriff " öffentliche Meinung " neu, um das Phänomen Anpassung an die Mehrheitsmeinung beschreiben zu können:
" Die Definition von öffentlicher Meinung wird darum ergänzt werden müssen: Im verfestigtem Bereich der Traditionen, Sitten, vor allem aber der Normen sind jene Meinungen und Verhaltensweisen öffentliche Meinung, die man öffentlich äußern oder einnehmen muß, wenn man sich nicht isolieren will. "[4]
An anderer Stelle spricht sie von " Öffentlichkeit als Bewußtseinszustand "[5] und " sozialer Haut "[6], um die Anpassung des Einzelnen an die herrschende Meinung zu beschreiben: öffentliche Meinung ist nicht die Summe der individuellen Meinungen der einzelnen Menschen, sondern eine normative Orientierungsgröße zur Meinungsbildung des einzelnen.

In diesem Zusammenhang muß man darauf hinweisen, wie der einzelne ein Bild von der Mehrheitsmeinung erhält. Laut Noelle-Neumann besitzt der Mensch ein "quasi-statistisches Wahrnehmungsorgan"[7], mit dem er die öffentliche Meinung sondieren kann und nicht Gefahr läuft, durch Aussprechen der " falschen " (im Sinne von nicht der Mehrheit entsprechenden) Meinung isoliert zu werden.

1.3 Schweige- und Redetendenz


Damit ist der Prozeß der Schweigespirale auch schon beschrieben:
Isolationsfurcht führt zu ständiger Umweltbeobachtung und Wahrnehmung der öffentlichen Meinung. Je nachdem wie die Mehrheitsverhältnisse in ihr wahrgenommen werden - nicht sind, diese Unterscheidung ist wichtig, denn es geht nicht um die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse, sondern diejenigen, die das öffentliche Bild prägen - reagiert das Individuum. Stimmt seine Meinung mit der der Öffentlichkeit überein, wird er zu erhöhter Redebereitschaft neigen, er gehört ja zur Mehrheit, seine Äußerung wird akzeptiert und erwünscht.

Ganz anders derjenige, der sich zur Minderheit zählen muß. Auch hier muß wieder betont werden: es geht nicht um die tatsächliche Minderheit, sondern um die Gruppe, die so wahrgenommen wird, weil sie es nicht geschafft hat oder es verhindert wurde, daß sie in der öffentlichen Meinung hinreichend Resonanz gefunden hat. Auf jeden Fall wird sich derjenige, der sich so in die Defensive gedrängt sieht und befürchten muß, mit seiner Meinung auf Ablehnung in der Gesellschaft zu stoßen, aus Angst davor lieber schweigen. Und so kippt die Meinungswaage in einem spiralförmigen Prozeß immer mehr zu Gunsten der einen Seite, die sich als Mehrheit empfindet und entsprechend selbstbewußt auftritt, während die andere Seite (isolations-) ängstlich und still immer mehr verblaßt und schließlich zu Teilen dazu neigt, sich der Mehrheit anzuschließen. Erst, indem sie sich öffentlich zu ihr bekennt und so mit den Wölfen heult[8], zum Schluß, indem sie die Meinung internalisiert und wirklich zum Mitglied der Mehrheit wird.

1.3.1 Auslösefaktoren


Diese miteinanderverwobenen Prozesse der gesellschaftlichen und persönlichen Meinungsbildung und -änderung finden nicht bei jedem Thema statt, sondern hängen von Auslösefaktoren[9] ab.
Konkret sind dies drei:
Erstens muß das Thema in der Gesellschaft allgemein einen Meinungswandel durchmachen. Nur wenn die Meinungswaage in Bewegung ist, kann sie auch zu einer Seite hin verschoben werden.
Zweitens muß es sich um Bereiche handeln, " die eindeutig moralisch belegt sind "[10], sprich auch wirklich dafür geeignet sind, daß man bei Nichtübereinstimmung mit der Mehrheit als Außenseiter dasteht. Anders ausgedrückt: nur Themen, die die Gesellschaft bewegen und in der es nicht um rationale Argumente geht, sondern darum, sich zu einer Seite zu bekennen, produzieren den öffentlichen Druck, der zu Isolationsfurcht und Schweigen führt.
Drittens sind da noch die Medien. Erst wenn ein Thema von ihnen aufgegriffen wird, wird es Teil der öffentlichen Diskussion, sie verwalten nach Noelle-Neumann das "Element Öffentlichkeit ".[11]

1.4 Doppeltes Meinungsklima / pluralistic ignorance


Wie oben ja schon deutlich betont wurde, geht es beim Prozeß der Schweigespirale nicht um die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse, sondern um die, wie sie vom einzelnen wahrgenommen werden. Da nun die Medien den Zugang zur Wahrnehmung der öffentlichen Meinung bilden, liegt bei ihnen auch der Schlüssel zur wahrheitsgetreuen, aber eben auch verzerrten Widerspiegelung des Meinungsklimas. Schafft es z.B. eine Gruppe, die in Wirklichkeit gar nicht die Mehrheit stellt, in den Medien durch hohe Präsenz und einseitige Darstellung die Gewichte zu ihren Gunsten zu verschieben, so kann es durch den dadurch entstehenden Eindruck, sie seien die Mehrheit, zur Schweigespirale kommen. Das kann dazu führen, daß es zur sprichwörtlichen " schweigenden Mehrheit " kommt, die durch die Mediendominanz der Minderheit glaubt, in der Unterzahl zu sein und auch so dargestellt wird.

Nicht immer muß aber ein gezieltes Interesse zu solchen verzerrten Darstellungen führen, schon allein die Tatsache, daß es Gruppen gibt, die durch eine fehlende Lobby oder medienpolitisches Desinteresse in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert sind, aber auch die bewußte oder unbewußte Einflußnahme durch Journalisten, führen - meist ungewollt - zu einem falschen Bild des Meinungsklimas in den Medien.[12]

Dieser Effekt ist sogar meßbar. Untersucht man in einer Umfrage z.B. die Zufriedenheit mit dem Leben und unterscheidet dabei die Fragestellung in 'eigenes Lebensgefühl' und wie die meisten Menschen darüber denken (= öffentliche Meinung), so ergibt sich ein deutlicher Unterschied :



Abbildung 1: Sozialutopische Täuschung in bezug auf Einstellung, Erfahrung und Lebensverhältnisse[13]


" Doppeltes Meinungsklima " oder "pluralistic ignorance ", also die Tatsache daß sich die Bevölkerung über die Meinung der Bevölkerung täuscht, wird dieses Phänomen aus der Demoskopie genannt.[14]

1.4.1 Journalistenbild


Wie oben beschrieben kann, das verzerrte Bild der öffentlichen Meinung mehrere Ursachen haben, doch Elisabeth Noelle-Neumann glaubt, einen entscheidenden Grund bei denen gefunden zu haben, die konkret hinter dem Abstraktum Massenmedien stehen: den Journalisten. Sie sind, so Noelle-Neumann, kein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft, sondern eine in sich homogene Gruppe mit ähnlichen Vorstellungen und Absichten. Gründe hierfür seien in einer ähnlichen Berufsauffassung, Abhängigkeit von gemeinsamen Nachrichtenquellen, Einbindung in die Institutionen der Medien (einer Zeitungsredaktion etwa), Konkurrenzdruck zwischen verschiedenen Medien, der dazu verleitet erfolgreiche Trends zu kopieren und schließlich in ähnlichen demographischen Merkmalen, z.B. dem hohen Akademikeranteil, zu suchen.[15]
Letztlich führt dieser Umstand zu einer konsonanten Berichterstattung, der es nicht möglich ist, die öffentliche Meinung repräsentativ widerzuspiegeln.


2 Das Massenkommunikationsmodell von Hans Wagner


Das Modell von Hans Wagner steht in einer besonderen Tradition, weshalb auf diese besondere Ausprägung der deutschen Kommunikationswissenschaft kurz eingegangen werden soll.

2.1 Die Münchner Schule der Zeitungswissenschaft


Seit der Gründung des Münchner Instituts für Zeitungswissenschaft durch Karl d'Ester 1924 und in seiner Folge von Otto Groth, Bernd M. Aswerus, Heinz Starkulla und dann eben Hans Wagner wurde eine eigenständige " Disziplin en miniature"[16]

[]

betrieben, die eine besondere und in ihren Augen eine bessere Interpretation der Massenkommunikation liefert als andere Modelle. Eine besondere Rolle spielt der Begriff " Zeitung ", der im Sinne von Nachrichtenaustausch verwendet wird und alle Medien einschließt, auch, aber eben nicht nur, die gedruckte (Tages- oder Wochen-) Zeitung und heute eher durch den Begriff " soziale Zeit-Kommunikation " abgelöst wurde.

Das Modell von Hans Wagner nimmt die Gedanken der Vertreter der Münchner Schule auf und faßt sie zusammen, deshalb muß auf sie nicht mehr einzeln eingegangen werden, der folgende Abschnitt leistet dies ohnehin.[17]

2.2 Strukturen der Kommunikation


Im Modell von Hans Wagner wird der Kommunikationsprozeß in zwei Bestandteile getrennt: die eigentliche Kommunikation und die Vermittlung.[18] Als erstes sollen nun diese beiden Teile näher erläutert werden und danach kurz untersucht werden, warum diese Trennung methodisch vorgenommen wurde und wie sie sich in historischer Perspektive tatsächlich entwickelte.

2.2.1 Kommunikationspartnerschaft


Die Träger der eigentlichen Kommunikation sind im Modell von Wagner der Ausgangspartner (AP) und der Zielpartner (ZP).[19]
Ausgangspartner ist derjenige, von dem eine Mitteilung, Nachricht oder Meinung ausgeht, etwa ein Politiker, der in einer Pressekonferenz eine Stellungnahme abgibt. Der Ausgangspartner darf nicht verwechselt werden mit dem Kommunikator herkömmlicher Modelle, denn er ist berufsmäßig kein Journalist oder Publizist, sondern ein normales Mitglied der Gesellschaft, genauso wie der Zielpartner.[20] Dieser wiederum darf nicht mit dem Rezipienten verwechselt werden. Zielpartner ist derjenige, der vom Ausgangspartner in seiner Mitteilung explizit so angesprochen wird und an den seine Äußerung gerichtet ist. Gibt es z.B. einen offenen Brief an einen Politiker, so können ihn sehr viele Leute lesen, weil er z.B. in einer Tageszeitung abgedruckt wurde, Zielpartner ist aber nur dieser eine Politiker, denn an ihn richtet sich der Brief.[21]

Der Unterschied zwischen dem herkömmlichen Verhältnis Kommunikator - Rezipient und den Kommunikationspartnern nach Wagner wird auch sofort deutlich, wenn man den Rollentausch betrachtet. Anders als beim Einbahnstraßen-Ablauf der Kommunikation in herkömmlichen Modellen, können der Ausgangspartner und der Zielpartner die Rollen wechseln. Wendet sich etwa ein Gewerkschaftsführer (AP) an die Regierung (ZP) mit Forderungen zur Tarifpolitik, so kann die Regierung darauf natürlich antworten und jetzt ihrerseits (AP) eine Stellungnahme abgeben und ihre Ansichten der Gewerkschaft (ZP) mitteilen. Etwas abstrakter formuliert bedeutet dies:
" Darnach handelt es sich bei der Massenkommunikation um einen Modus sozialer Zeit-Kommunikation, bei dem - in ständigem Rollentausch! - gesellschaftliche Partner und Partnerschaften zu den sie und die ganze Gesellschaft bewegende aktuellen Fragen und Themen miteinander kommunizieren,[...]. "[22]

Was sich am angeführten Beispiel Gewerkschaft - Regierung auch noch sehr schön erläutern läßt, ist die sogenannte Kommunikationsrepräsentanz. Die einfache Erkenntnis, daß es nicht so viele Meinungen wie Köpfe gibt[23], gepaart mit der Unmöglichkeit, jede Einzelstimme im öffentlichen Kommunikationsprozeß zu Wort kommen zu lassen, hat zur Herausbildung von Repräsentanzen geführt. Der Gewerkschaftschef in unserem Beispiel spricht demnach nicht als Einzelperson, sondern als gewählter Vertreter für alle seine Gewerkschaftsmitglieder die Regierung an, er ist ein repräsentierter Ausgangspartner. Genauso ist er ein repräsentierter Zielpartner in der Antwort der Regierung, denn er ist wohl der Adressat der Botschaft, gerichtet ist sie aber an alle Gewerkschaftsmitglieder, möglicherweise auch an alle Arbeiter, obwohl sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind, sich aber mit den Zielen der Gewerkschaft identifizieren können.

Man sieht, die Kommunikationsrepräsentanz läßt sich noch differenzieren.
Einerseits gibt es die legitimierte Real-Repräsentanz. Sie liegt immer dann vor, wenn eine Gruppe einen von ihr gewählten Vertreter hat, der beauftragt ist, die Gruppenmeinung zu vertreten. Partei- oder Verbandsvorsitzende, aber auch extra dazu bestellte Pressesprecher, können diese Rolle ausfüllen.
Umgekehrt gibt es Gruppenmitglieder, die weder gewählt noch sonstwie legitimiert wurden und trotzdem die Gruppenmeinung, z.B. in einem Interview, wiedergeben können. Man spricht dann von statistischer Real-Repräsentanz. Die Meinung des einzelnen ist so typisch für die Gruppe, daß statistisch gesehen seine Aussage die anderen Mitglieder mitrepräsentiert.[24]

Eine Folge der Kommunikationsrepräsentanz ist, daß es neben der Inter-Kommunikation zwischen Ausgangs- und Zielpartner, auch zur Intra-Kommunikation innerhalb der Repräsentanzgruppe kommt. Damit überhaupt eine Meinung nach außen hin vertreten werden kann, muß sie intern erst einmal abgestimmt werden. Genau dieser Prozeß der Intra-Gruppen-Kommunikation kann aber auch wieder Gegenstand der Massenmedien sein, weil sie bei der Größe der Gruppe anders auch gar nicht zu bewerkstelligen wäre.[25]

2.2.2 Vermittlung


Und damit sind wir beim zweiten Bestandteil des Kommunikationmodells, der Vermittlung, deren Aufgabe darin besteht, den Kontakt zwischen den Kommunikationspartnern herzustellen. Bei der direkten Kommunikation besteht zwischen Vermittlung und Kommunikationspartnerschaft eine doppelte Rollenunion: Der Ausgangspartner ist zugleich Sender, der Zielpartner Empfänger. Genauso wie es bei den Kommunikationspartnern einen Rollentausch geben kann, gibt es gleichzeitig einen Tausch zwischen Sender und Empfänger, nun ist der neue Ausgangspartner der Sender, der neue Zielpartner Empfänger:



Abbildung 2: Rollenstruktur bei Rollentausch in der direkten Kommunikation
[26]


Erst wenn eine direkte Kommunikation zwischen den Partnern nicht mehr möglich ist, bricht die Rollenunion auf und es kommt zu den für die Massenkommunikation typischen starren Vermittlungsrollen, die zwischen Ausgangs- und Zielpartner stehen. Der Sender wird zum Vermittlungssystem, bestehend aus Vermittler und Medium, und aus dem Empfänger werden die Rezipienten:



Abbildung 3: Die doppelpaarige Rollenstruktur der Massenkommunikation
[27]


Wie gesagt, hier ist die Rollenverteilung fest und es kann kein Tausch mehr stattfinden. Der Vermittler ist ein berufsmäßiger Journalist, Redakteur etc., die Rezipienten der Rest der Gesellschaft in der Rolle als Leser, Zuhörer oder Zuseher.
Es kann aber zu typischen Rollenverbindungen kommen. So ist der Zielpartner meistens zugleich Rezipient. Er ist sowohl derjenige, der vom Ausgangspartner explizit als solcher angesprochen wird und er erfährt zudem als Rezipient davon über die Massenmedien.
Auch der Ausgangspartner ist meistens Rezipient. Schon allein um zu überprüfen, wie seine Mitteilung von den Medien vermittelt wurde, wird er zum Rezipienten werden.
Schließlich gibt es eine Rollenunion, die eine besondere Form der Kommunikation herstellt, die Verbindung von Ausgangspartner und Vermittler. In dieser Konstellation ist der Journalist etc. also zugleich derjenige, von dem die Mitteilung ausgeht, " er vermittelt, was er selbst denkt, meint oder weiß."[28] Ein typisches Beispiel hierfür wäre der Kommentar.
Faßt man die Kommunikationspartnerschaft und die Vermittlungsrollen zusammen, so kommt man zum Gesamtmodell der Massenkommunikation, daß nachfolgend als Schaubild dargestellt ist:



Abbildung 4: Modell der Massenkommunikation
[29]

2.3 Historische Perspektive


Versteht man Kommunikation als Versammlungsprinzip[30], so wird ersichtlich, daß sich, solange die Gesellschaft in einem überschaubaren Rahmen hält, die Kommunikation prinzipiell wie in Abbildung 2 dargestellt abläuft.
Mit steigender Zahl von Gesellschaftsmitgliedern ist es aber nicht mehr möglich, jeden einzelnen zu Wort kommen zu lassen, es kommt zur Herausbildung der Kommunikationsrepräsentanzen. Nur noch wenige Wortführer greifen in die Diskussion ein, die restlichen Anwesenden können ihren Standpunkt durch Hinzutreten zu einem dieser Wortführer oder sonstige Kenntlichmachung Ausdruck verleihen.[31]

Ein weiteres Problem tritt auf, wenn es durch geographische oder organisatorische Schwierigkeiten nicht mehr möglich ist, alle Gesellschaftsmitglieder real zu versammeln. Um dennoch in Kontakt zu bleiben, kommt es zur Bildung des Vermittlungsystems und zwar in drei Stufen: An erster Stelle steht die partnereigene Vermittlung. Der Bote, der zwischen Ausgangs- und Zielpartner den Mitteilungsaustausch bewerkstelligt, steht in Diensten des Ausgangspartners und muß sich strikt an den Wortlaut von dessen Nachricht halten. In einer zweiten Stufe kommt es zur partnerabhängigen Vermittlung. Der Bote ist nun selbständig und nicht mehr angestellt, dennoch handelt er im Auftrag des Ausgangspartners und ist an diesen gebunden. Zu guter letzt kommt es dann zur partnerautonomen Vermittlung, der Bote ist vollkommen unabhängig und entscheidet selbst, welche Nachrichten er veröffentlicht. Ebenso ist er frei in der Wortwahl und in der Art, wie er eine Nachricht kürzt oder sonst bearbeitet.[32]

Damit aber dieses Vermittlungssystem sich nicht einfach verselbständigt und seinen eigentlichen Auftrag vergißt, nämlich einen Kommunikationsraum für die Gesellschaft herzustellen, werden Kommunikationsregeln geschaffen, mit denen versucht wird, die "Sprechzeiten" in den Medien zwischen den Gesellschaftsmitgliedern möglichst gerecht aufzuteilen.[33]

Faßt man alle diese Schritte zusammen, dann kommt man zu einer neuen Definition von Massenkommunikation:
" Massenkommunikation ist dann ein Modus sozialer Zeit-Kommunikation, der als 'Kommunikation über Distanz' prinzipiell durch partnerunabhängige Vermittlungssysteme im wechselseitigen Austausch von (möglichst legitimierten) Kommunikationsrepräsentanten auf der Grundlage manifester Vermittlungverfassungen ermöglicht und vollzogen wird. "[34]

3 Vergleich


Was als erstes auffällt, wenn man die Schweigespirale und das Modell der sozialen Zeit-Kommunikation gegenübergestellt, ist die makroperspektivische Sichtweise beider Ansätze.
Beide greifen über den Horizont anderer Modelle hinaus und suchen nach der Einordnung der Medien in das gesamtgesellschaftliche System.

Elisabeth Noelle-Neumann verbindet dabei Erkenntnisse der Sozialpsychologie mit der Kommunikationswissenschaft und untersucht, wie die Meinungsbildung des einzelnen von der öffentlichen Meinung abhängt. Massenmedien sind der Ort, wo Öffentlichkeit stattfindet, sie objektiv darzustellen wäre demgemäß die Aufgabe der Journalisten, was aber nur selten gelingt und zu Phänomenen wie "doppeltes Meinungsklima" und "pluralistic ignorance" führt.

Hans Wagner versucht dagegen, das heutige Mediensystem aus historischer Perspektive zu erklären. Das " Vermittlungssystem " ist nur ein Teil des Kommunikationsmodells, es wird von den Kommunikationspartnern umschlossen und dient somit der Gesellschaft als Versammlungsort für die aktuelle Zeit-Kommunikation. Auch hier tritt wieder die Forderung an den Journalisten auf, ein objektiver und neutraler Vermittler zu sein, der Bote der Kommunikationspartner. Doch auch hier funktioniert es nicht so recht, im Verlauf der Kommunikationsrationalisierung kommt es soweit, "daß sich die Vermittlungsinteressen der Vermittler zu Kommunikationsinteressen verselbständigen und als solche verabsolutieren. Der Vermittler orientiert sich immer stärker an seinen eigenen Kommunikationsinteressen und immer weniger an den Kommunikationsinteressen der Gesellschaft."[35]

Bei beiden Modellen wird also von den Medien ein neutraler Vermittlerdienst für die Gesellschaft gefordert und bei beiden wird dieses Ideal nicht erreicht, weil die Medien ihre Macht mißbrauchen und eigene Interessen der gesellschaftlichen Verantwortung vorziehen.
Und beide Autoren ziehen daraus auch Schlußfolgerungen auf der politischen Ebene.
Elisabeth Noelle-Neumann indem sie den Journalisten grundsätzlich eine Manipulationsmöglichkeit zuschreibt[36], was schließlich sogar dazu führte, daß sie der bundesdeutschen Presse, v.a. den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern vorwarf, die Bundestagswahl 1976 entschieden zu haben.[37]

Hans Wagners Kritik an der Presse geht in eine ähnliche Richtung. Die starke Stellung des Vermittlers zwischen den Kommunikationspartnern, eröffnen diesem Manipulationsmöglichkeiten[38] und diese " erschweren oder zerstören schließlich die Orientierungsmöglichkeit des Einzelnen und der Gruppen in den für sie jeweils relevanten sozial-kommunikativen Bezugsräumen, insbesondere aber in der Gesellschaft. "[39]
Wie bei Noelle-Neumanns " doppeltem Meinungsklima " wird den Medien also die Unfähigkeit zugeschrieben, die öffentliche Meinung objektiv und neutral widerzuspiegeln und so dem einzelnen eine Orientierung zu geben.

Aber auch der oben beschriebene Prozeß vom fremdvermittelnden " Gesprächsanwalt der Gesellschaft "[40] zum eigenvermittelnden Publizisten[41] eröffnet der Einflußnahme Tür und Tor: " Der Vermittler schwingt sich als Publizist zum Volkserzieher ohne Auftrag auf, zum Lehramtswalter der Gesellschaft, zu einem Führertum, das nicht ganz zu unrecht als " neues Gottes-Gnadentum " apostrophiert wurde."[42]
Dieses Problem scheint nicht nur sporadisch aufzutreten, sondern an der Tagesordnung zu sein, immerhin hat ihm Hans Wagner ein ganzes Buch gewidmet.[43]
Ähnlich wie Noelle-Neumann bei dem Thema Journalisten und Wahlen ihre praktische Anwendung der Theorie der Schweigespirale gefunden hat, so hat Hans Wagner im Umgang der Presse mit der deutschen Vergangenheit im Dritten Reich sein politisches Feld zur Umsetzung der wissenschaftlichen Theorie gefunden:
" Die Publizistik geriert sich als Definitionsmacht für historical correctness.[...] Die 'Publizistik' bestimmt, wann und wo und von wem Tabu- und Correctness-Verletzungen begangen werden. So in der Tat, gewinnt sie Macht als unkontrollierte 'Vierte Gewalt' gegen Recht und Verfassung. Das heißt ganz einfach und konkret, daß Medien und Publizisten autonom bestimmen, welche Haltungen, welche Äußerungen oder welche Produktionen als antisemitisch oder im anderen Falle als nazistisch und faschistisch gelten sollen."[44]

Manipulierende Journalisten, Kritik an der bundesdeutschen Presse - so unterschiedlich Elisabeth Noelle-Neumann und Hans Wagner in ihren Modellen sein mögen, letztlich führt es bei beiden zu ähnlichen oder gleichen Schlußfolgerungen und darin liegt wohl die größte Gemeinsamkeit, wenn man die beiden vergleicht.

Bibliographie



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Donsbach, Wolfgang: Die Theorie der Schweigespirale. In: Michael Schenk(Hrsg.):
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Publizistikprofessor Hans Wagner mit der deutschen Vergangenheit umgeht. In: Süddeutsche Zeitung 4. Nov. 1996, S. 46.
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In: Publizistik 22. Jg., Heft1 1977, S. 5 - 13.
Wagner, Hans: Zeitung und Geschichte. Von der unbewältigten Vergangenheit zur
unbewältigten Gegenwart. In: Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.): Hellmut Diwald. Sein Vermächtnis für Deutschland. Sein Mut zur Geschichte.
Tübingen, Zürich, Paris 1994, S. 315 - 331.


[1] Vgl. hierzu Anna-Maria Deisenberg: Die Schweigespirale - Die Rezeption im In- und Ausland. München
1986, S.36 - 47 ( zur politischen Kritik an Elisabeth Noelle-Neumann) und Kurt Sontheimer: Eine ganz spezielle Definition der Realität. Wie der Publizistikprofessor Hans Wagner mit der deutschen Vergangenheit umgeht. In: Süddeutsche Zeitung 4. Nov. 1996, S.46.
[2] Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale. Erweiterte Ausgabe, Berlin und Frankfurt 41996 11982, S.59 - 62.
[3]Helmut Scherer: Massenmedien, Meinungsklima und Einstellung. Eine Untersuchung zur Theorie der Schweigespirale. Opladen 1990, S.19. Weitere Ausführungen zu den sozialpsychologischen Experimenten Ashs u.a. ebenda S. 34 - 47.
[4] Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung, S.92.
[5] Ebenda, S.90.
[6] Ebenda, S.89.
[7] Ebenda, S.164.
[8] Ebenda, S.20.
[9] Hierzu Wolfgang Donsbach: Die Theorie der Schweigespirale. In: Michael Schenk (Hrsg.): Medienwirkungsforschung. Tübingen 1987, S.324 - 343, S.330.
[10] Ebenda.
[11] Elisabeth Noelle-Neumann in Deisenberg: Schweigespirale, S.25.
[12] Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung, S.246 - 250.
[13] Elisabeth Noelle-Neumann: Die Theorie der Schweigespirale als Instrument der Medienwirkungsforschung. In: Max Kaase und Winfried Schulz (Hrsg.): Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Opladen 1989, S.430.
[14] Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung, S.241 - 245.
[15] Hierzu u.a. Deisenberg: Schweigespirale, S.26f.
[16] Erhard Schreiber: Repetitorium Kommunikationswissenschaft. 3., überarbeitete Auflage, München 1990 11980, S. 34.
[17] Zur Münchner Schule der Zeitungswissenschaft: Schreiber: Repetitorium, S. 34 - 44.
[18] Hans Wagner: Vermittlungsverfassung in der Massenkommunikation. In: Publizistik 22. Jg. Heft1 1977, S.5 - 13, S.6.
[19] Hierzu Hans Wagner: Kommunikation und Gesellschaft. Bd 1. München 1978, S.30 - 33.
[20] Ebenda, S.40 - 43.
[21] Ebenda, S.44f.
[22] Wagner: Vermittlungsverfassung, S.5.
[23] Wagner: Kommunikation, S. 62.
[24] Vgl. hierzu ebenda, S.73 - 79.
[25] Ebenda, S.85f.
[26] Ebenda, S. 36.
[27] Ebenda, S. 44.
[28] Ebenda, S.45.
[29] Ebenda, S.86.
[30] Hans Wagner: Rationalisierungsprozesse der sozialen Kommunikation. Materialien zu einem besseren Verständnis der Massenkommunikation. In: Politische Bildung 1/1980 : Massenkommunikation in der Demokratie. Stuttgart 1980,
S.3 - 32, S. 4.
[31] Ebenda, S. 13 - 15, insbesondere S. 14 mit einem Beispiel aus dem römischen Senat.
[32] Ebenda, S. 5 - 10.
[33] Ebenda, S. 15f.
[34] Ebenda, S.19.
[35] Ebenda, S.21.
[36] Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung, S. 222 - 226.
[37] Ebenda, S. 227 - 240. Elisabeth Noelle-Neumann selbst distanziert sich zwar von der "Schuldthese" des Fernsehens, ihr Verhalten und die politischen Reaktionen rechtfertigen aber wohl diese Interpretation - hierzu Deisenberg: Schweigespirale, S.44 - 50 und Scherer: Massenmedien, S. 25f.
[38] Wagner: Kommunikation, S.122 - 125.
[39] Ebenda, S.124.
[40] Aswerus in ebenda, S. 95.
[41] Zu Fremd- und Eigenvermittlung ebenda, S. 94 - 111.
[42] Wagner: Rationalisierungsprozesse: S.23; Zitat von Helmut Walther ("neues Gottes-Gnadentum"),
belegt ebenda, S. 31.
[43] Hans Wagner: Medien-Tabus und Kommunikationsverbote. Die manipulierbare Wirklichkeit. München 1991.
[44] Ders.: Zeitung und Geschichte. Von der unbewältigten Vergangenheit zur unbewältigten Gegenwart. In: Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.): Hellmut Diwald. Sein Vermächtnis für Deutschland. Sein Mut zur Geschichte. Tübingen, Zürich, Paris 1994, S. 315 - 331, S. 317.