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§;Inhaltsverzeichnis
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1 |
Einleitung
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2 |
Das Religionsverständnis Kutscheras |
2.1 |
Negative Abgrenzung |
2.1.1 |
- Religion als Sprachspiel |
2.1.2 |
- Religion als Paradigma |
2.2 |
Positive Bestimmung |
2.2.1 |
- Die Bedeutung der Mythen |
2.2.2 2.2.3 2.2.4 |
- Religion als Transzendenzbezug - Religion als Antwort auf existenzielle Fragen - Komponenten einer Religion
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3 |
Vernünftigkeitskriterium: Bewährung im Leben |
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3.1 |
Einwände gegen das Bewährungskriterium |
3.1.1 |
- Bewährung im Zirkel |
3.1.2 |
- Einseitiges Religionsbild |
3.1.3 |
- Funktionalismus |
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3.2 |
Bewährungsproben |
3.2.1 |
- Das Problem der Transzendenz |
3.2.2 |
- Erklärungen religiöser Anschauungen |
3.2.3 |
- Der Wandel religiöser Ansichten |
4
5 |
Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis |
1 Einleitung
Am Ende der Durchleuchtung "gängiger" Gottesbeweise auf ihre logische Haltbarkeit
kommt Franz von Kutschera in seinem Buch "Glaube und Vernunft" zu dem Fazit: "Es gibt zumindest gegenwärtig keinen brauchbaren rationalen Gottesbeweis." Und schließt daraus, daß der "...zentrale Satz von der Existenz Gottes und damit der Theismus insgesamt rational nicht schlüssig zu begründen ist."+2a
Aber er betont auch, daß dies genausowenig ein Beweis für die Nichtexistenz Gottes
sei. Vielmehr kommen wir auf eine Ebene wo sich Glaube als Wagnis darstellt. Es
scheint, daß es keine ausreichenden Gründe für oder gegen den Theismus gibt. Dies
muß nicht Irrationalismus bedeuten. So geben Pascal, James und Kierkegaard alle
eine positive Stellungnahme zur Gottesfrage ab und "...geben Argumente für ihre
Stellungnahme an, also Gründe die den Anspruch auf intersubjektive
Nachvollziehbarkeit erheben." Im Gegensatz zu den Gottesbeweisen beanspruchen
sie jedoch nicht theoretische Gründe, "...die unabhängig von unseren Wünschen,
Hoffnungen und Befürchtungen für oder gegen eine Tatsachenbehauptung, eine
Hypothese über die Wirklichkeit sprechen...", sondern praktische Gründe, "...die in
Abhängigkeit von den vielfältigsten menschlichen Interessen für oder gegen eine
bestimmte Handlung oder Entscheidung sprechen."
Hier wird "...die Annahme der Existenz Gottes als eine Entscheidungshandlung
aufgefaßt, deren Rationalität nach sämtlichen für die die Beurteilung einschlägigen
Gesichtspunkten, also insbesondere nach ihren Konsequenzen für den Handelnden zu
beurteilen ist."
Dieser Ansatz ist auch in der heutigen Religionsphilosophie in Deutschland anzu-
treffen. Hier bemüht sich insbesondere die sprachanalytische Philosophie "... um eine
neue und befriedigende Klärung der alten philosophischen Fragen nach dem Ver-
hältnis von Gefühl, Glaube und Vernunft...". Sie knüpft dabei in zwei Strömungen am
amerikanischen Pragmatismus (William James) und an die wissenschaftstheoretische
Diskussion um den Paradigmenbegriff (Thomas S. Kuhn) an. Ein Beispiel für die
erste Strömung ist Franz von Kutschera, eines für die zweite Karl Wuchterl.
Daß meine Arbeit jedoch von Kutschera handelt, ist darin begründet, daß Kutschera
Wuchterl einer meiner Ansicht treffenden Kritik unterzieht. Auch Michael Bordt SJ sieht
die Variante Kutscheras als angemessener an. 9a
Die Aktualität dieser neuen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft liegt in der
unüberschauren Vielfalt religiöser Angebote, die auch für die Religionsphilosophie eine
Herausforderung darstellt:
" Ist es angesichts der Pluralität religiöser Angebote noch angemessen, die Frage nach der
Wahrheit einer Religion zu stellen? Sind nicht vielmehr religiöse Gefühle das letzte, unhinterfragbare
Kriterium für einen religiösen Glauben? Wie verhalten sich Gefühl und Glaube, Psychologie und
Religion zueinander? Läßt sich überhaupt noch argumentativ verantwortlich für eine religiöse
Haltung argumentieren oder eine religiöse Haltung kritisieren?"
In meiner Arbeit über die Religionsphilosophie Kutscheras möchte ich das Charakter-
istische festhalten. Dies besteht nach Kutscheras eigenem Bekunden aus seinem Vernünftigkeitskriterium der Bewährung des Glaubens im Leben. Um dieses verstehen bzw. beurteilen zu können, ist es jedoch notwendig erst sein Religionsverständnis kennenzulernen, da er eine Religionsphilosophie entwerfen will, die dem Phänomen der Religion in ihrem Eigenverständnis gerecht wird. Schließlich zeige ich auf, wie Kutschera das weitere Betätigungsfeld von Religionsphilosophie außerhalb einer allgemeinen Bestimmung des Verhältnis von Glaube und Vernunft sieht, nämlich als Entscheidungshilfe für den Einzelnen.
2 Das Religionsverständnis Kutscheras
Für die Bevorzugung praktischer Gründe in Glaubensfragen ist das zugrundeliegende Re-
ligionsverständnis maßgeblich. Versteht man nämlich darunter wie Kutschera eine
Lebensform, die sich darin bewährt, daß der einzelne Mensch hier "...den Weg zur Ver-
wirklichung seiner tiefsten Lebensziele findet...", so ist die Vagheit praktischer Gründe
kein echtes Problem mehr. Denn es geht dann nicht darum, daß andere diese Gründe
auch für sich akzeptieren können, weil diese auf der Basis einer allgemeinen Vernunft
überzeugen. Vielmehr geht es um eine Entscheidung des Einzelnen, für den
die Religion die richtige Lebensform sein muß:
" Eine Lebensform bewährt sich immer für jemanden, und dieselbe Lebensform, die sich für den
einen bewährt, kann sich für den anderen nicht bewähren, denn sie bewährt sich immer nur im Blick
auf persönliche Wertungen, Lebensziele oder -ideale."
Auf die vielfältigen Einwände gegen eine solche Konzeption geht Kutschera später ein.
Zunächst gilt es sein Religionsverständnis im Einzelnen herzuleiten.
2.1 Negative Abgrenzung
Kutschera grenzt seine Auffassung bewußt von der Konzeption der Religion als
Sprachspiel bzw. als Paradigma ab. Ein aktueller Vertreter dieser Richtung in Deutschland
ist K.Wuchterl.
2.1.1 Religion als Sprachspiel
Die Konzeption des Sprachspiels geht auf Wittgenstein zurück und besagt, daß Sprache
im Kontext ihrer Lebensform zu sehen ist. Der Hintergrund der verschiedenen
Lebensformen bedingt die Verschiedenheit ihrer Sprachen, weil sich ein und dasselbe
Wort auf einen ganz anderen Kontext bezieht.
In diese Konzeption bindet Wittgenstein auch sein Religionsverständnis ein: Glaube ist für
ihn "... eine praktische Haltung, die das ganze Leben bestimmt". Die religiöse
Sprache drückt dann diese Lebenseinstellung aus. "Glaube ist also keine Sache von ver-
nünftigen Gründen." Da sich Gläubige und Nicht-Gläubige auf verschiedene
Voraussetzungen beziehen, fehlt eine Ebene der sinnvollen Diskussion miteinander. Es
wird unmöglich, den anderen zu kritisieren. Sprachspiele sind immun gegen Kritik.
Die von Gläubigen und Nicht-Gläubigen verwendeten Begriffe sind verschieden, ihre
Ausdrucksweisen auch; sie denken anders.Die Rechtfertigung des jeweiligen Sprachspiels
besteht einfach in der Tatsache: "Dies Sprachspiel wird gespielt".
Die Konzeption einer Religion als Sprachspiel ist nach Kutschera jedoch nicht haltbar.
Insbesondere die Autarkie der einzelnen Sprachspiele voneinander sei realitätsfern. So
bewege sich ein Gläubiger durchaus in anderen Sprachspielen und verwende dabei
dieselbe Sprache. Nirgends sei durch eine Analyse aufgewiesen worden, daß sich
religiöses "...Sprechen, Argumentieren und Erfahren vom normalen oder wissen-
schaftlichen unterscheidet". "Wir leben nicht in grundsätzlich verschiedenen Welten, das
wäre schlicht schizophren."
2.1.2 Religion als Paradigma
Die Paradigma-Konzeption ist mit der obigen verwandt und behauptet in ihrer religions-
philosophischen Anwendung, daß Religion ein Paradigma im Sinne T.S. Kuhns sei.
Religiöse Aussagen lassen sich nach dieser Richtung nur im Gesamtsystem der
Anschauungen einer Religion diskutieren.
Ein Paradigma ist ein Begriffsystem und "Theorien sind nach Kuhn immer immer im
Kontext eines solchen Paradigmas zu verstehen und zu bewerten".
Auch religiöse Ansichten sind, als Paradigma verstanden, "...ein System von Annahmen,
Sichtweisen, Formen der Deutung von Erfahrungen und der Begründung". Wie beim
Verständnis von Religion als Sprachspiel, ist daher naturwissenschaftliche Kritik am
religiösen Paradigma verfehlt, weil von verschiedenen Voraussetzungen her argumentiert
wird.
Nach Kuhn gibt es keine "...allgemeine, paradigmenunabhängige, neutrale Beobachtungs-
basis...", es läßt sich nicht zwischen Paradigmen entscheiden, nur innerhalb des Para-
digmas ist Kritik möglich.
Die Kritik Kutscheras ist analog zu der am religiösen Sprachspiel. Wieder betont er, daß
die Autarkie der Paradigmen nicht haltbar ist, da der einzelne Mensch sich als ein und
derselbe in verschiedenen bewegt. Insbesondere wäre ein autarkes religiöses Paradigma
bedeutungslos für uns, da es keine Folgen für unser normales Leben hat. Denn dieses
spielt sich eben in zahlreichen anderen Paradigmen ab, die jedoch andere Voraus-
setzungen als das religiöse haben und somit dessen Vorstellungen nicht hierher zu über-
tragen sind. Auch ist der Paradigmenbegriff auf rein theoretische Aspekte fixiert, dies trifft
jedoch den praktischen Anteil an der Religion nicht: "... Normen, praktische Haltungen und
gefühlsmäßige Einstellungen...".
Hier zeigen sich aber auch schon interessante Perspektiven für den Ansatz Kutscheras:
Theorien sollen ihre Brauchbarkeit an der Realität messen lassen und nicht an theorie-
immanenten Voraussetzungen. Nur wenn sich eine Theorie in der Realität bewährt, kann
sie Gültigkeit beanspruchen. Der theoretische Erklärungswert der Religion wird nach
Kutscheras Meinung heute allgemein als gering erachtet (z.B. Entstehung der Welt), daher
kommt es für ihn darauf an, einen passenden Bewährungsbegriff für die nicht-theoretischen
Komponenten der Religion zu entwickeln.
2.2 Positive Bestimmung
Kutschera betont bei seiner Religionsbestimmung den Begriff der Transzendenz. Denn
durch sie unterscheide sich die religiöse Weltanschauung von anderen: Sie nimmt zwei
Bereiche der Gesamtwirklichkeit an: den immanenten und den transzendenten.
2.2.1 Bedeutung der Mythen
Das wesentliche Merkmal der Mythen ist nach Kutschera aus heutiger Sicht, ihre
"...geringe Differenzierung zwischen subjektiven und objektiven Momenten". Immanente
und transzendente Weltsicht sind nicht zu trennen. Das Anorganische und das Organische
sind für die mythische Erfahrung von beseelten Wesen beherrscht, den Numina, die
persönliche als auch unpersönliche Wesen (z.B. Naturkräfte) sein können, deren
Wirkungen Ausdruck ihres Wesens sind.
Wenn diese Numina persönlich gedacht werden, man ihnen bestimmte Taten und eine
Lebensgeschichte zuschreibt, so ist dies der Übergang zum Gottesgedanken:
"Es ist jedoch offen, ob Göttergestalten generell aus unpersönlichen Numina entstanden
sind", bemerkt Kutschera und sieht im mythischen Denken zugleich "...die wichtigste
historische Quelle für die Entwicklung religiöser Vorstellungen und Haltungen".
2.2.2 Religion als Transzendenzbezug
Da unsere heutige Weltsicht immanent ist, muß Religionsphilosophie nach Kutschera
fragen "...ob und gegebenfalls wo die Annahme einer transzendenten Wirklichkeit - und
damit religiöser Glaube - heute noch Anhaltspunkte finden kann", denn religiöse
Ansichten und Haltungen haben ihren wesentlichen Grund in einer transzendenten
Wirklichkeit. Kutschera bezieht sich auf Kant und sieht den entscheidenden
Anhaltspunkt der Transzendenz im Leben des Einzelnen an den an ihn herantretenden
Grenzfragen. Grenzfragen sind Probleme, die sich "...innerhalb unseres Paradigmas von
Erfahrung und Vernunft nicht entscheiden lassen", weil sie eben dieses in Frage stellen
und offenbaren "...Lücken in der immanenten Weltsicht...".
Beispiele, die Kutschera aufweist, sind das Problem der Skepsis (ob wir etwas wissen
können), die Erkennbarkeit der Welt (so wie sie an sich ist), der Ursprung der Welt. In der
praktischen Philosophie kommen Fragen hinzu wie die nach menschlicher Freiheit, dem
Verhältnis von Interesse und Moral, dem ontologischen Fundament der Normen bzw.
Werte und nach dem Sinn des individuellen Lebens und dem der Geschichte.
Diese Fragen zielen ganz offensichtlich über die immanente Wirklichkeit hinaus auf Trans-
zendentes. Und "...das Transzendente nach dem hier gefragt wird, hat religiöse
Signifikanz".Dies begründet Kutschera mit einem Verweis auf die Philosophiegeschichte,
wo immer wieder Gott benötigt werde,um diese Probleme zu lösen.
In der religiösen Bedeutung muß nach Kutschera jedoch deutlich zwischen theoretischen
und praktischen Grenzfragen unterschieden werden. Denn:"Religiöse Fragen sind im Sinn
von W.James existenzielle Fragen, die wir nicht auf sich beruhen lassen können, sondern
entscheiden müssen." So können wir Kutscheras Meinung nach gut leben, ohne
theoretische Fragen wie die Frage nach dem Ursprung der Welt beantwortet zu haben.
Aber jeder Mensch richte sein Handeln nach Werten, Normen, Zielen und schließlich nach
dem Sinn des Lebens, welches alles Themen praktischer Grenzfragen darstellen, die sich
jeder Mensch einmal bewußt oder unbewußt beantwortet haben muß.
2.2.3 Religionen als Antworten auf existenzielle Fragen
In der Suche nach Transzendentem, auf dem Religion gründen kann, gelangt Kutschera
also zu den Grenzfragen, wobei er insbesondere den praktischen religiöse Bedeutung zu-
spricht. Wenn er diesen religiöse Bedeutung zuspricht, so muß das auch etwas über sein
Religionsverständnis aussagen. Daher geht Kutschera im folgenden auch darauf ein,
inwieweit Religionen als Antworten auf existenzielle Fragen verstanden werden können.
Zuerst bemerkt er, daß nicht alle Religionen primär oder allein Antworten auf existenzielle
Fragen seien. Aber alle Religionen würden zumindest etwas dazu sagen: "...sie wollen
Orientierung geben, etwas über das Ziel und den Wert des menschlichen Lebens sagen,
Hoffnung und Zuversicht in den Nöten des Daseins vermitteln".
Das verdeutlicht er dann an zentralen Aussagen des christlichen Glaubens, indem er
diese mit konkreten Lebenserfahrungen füllt. So zeige sich zum einen Glaube als
Schlüssel zu einem größeren Horizont des Lebens und andererseits als "...Grundlage für
ein Vertrauen zum Leben. Beide Aspekte ergänzen sich."
Auf seine Ausführungen dazu gehe ich im Einzelnen nicht ein. Insbesondere weist er hier
aber Positionen ab, die "...das Religiöse von einem Bezug auf Transzendentes trennen".
Kutschera meint, daß die humanistischen Werte solcher Positionen nicht ausreichen, um
unsere Grenzfragen zu beantworten. Denn diese lassen sich offensichtlich nur durch Un-
bedingtes, Vollkommenes beantworten, das es in der empirischen Realität nicht gebe.
Grenzfragen bzw. religiöse Fragen verweisen also auf Transzendentes. Religion ohne
Transzendenz wäre nicht mehr Religion.
Kutschera ging es hier darum zu zeigen, daß christlicher Glaube durch seine Beant-
wortung der existenziellen Fragen ein Grundvertrauen vermittelt, von dem her man sein
Leben "...als sinnvoll und wertvoll begreifen" kann. Er hat nirgends behauptet, daß Gott
nun bewiesenermaßen existiere, weil man ihn für die Beantwortung existenzieller Fragen
benötige.
2.2.4 Komponenten einer Religion
Welche Bestandteile machen nach Kutschera eine Religion konkret aus?
a) Religiöse Anschauungen
Unter religiösen Anschauungen versteht Kutschera zum einen Annahmen, die in
Aussagen über den jeweiligen Gegenstand formuliert werden und zweitens Sichtweisen,
als Weisen des Erfahrens, die einen Gegenstand unter subjektiven Aspekten bestimmen.
In beiden werde deutlich, daß es eine "...religionsspezifische Sicht der Dinge, gemein-
same Grundzüge der individuellen Sichtweisen" gebe.
b) Religiöse Normen und Handlungen
Religiös sind Normen bzw. Haltungen dann, wenn sie sich auf Transzendentes beziehen
oder zumindest auf das Verhältnis des Menschen zum Transzendenten. Allgemeiner:
Wenn sie einen religiösen Inhalt haben bzw. religiös sanktioniert oder fundiert sind.
Zur konkreten Erkennung solcher Sachverhalte sagt Kutschera:
"Transzendentes ist durch seine überragende Bedeutung für den Menschen charakterisiert
und die Anerkennung dieser Bedeutung drückt sich in Haltungen wie Verehrung, Anbetung, Demut,
Gehorsam, Liebe oder Furcht aus. Daher entsprechen jeder Konzeption einer transzendenten
Wirklichkeit immer auch Normen religiösen Inhalts, insbesondere Gebote des Verhaltens gegen-
über dem Göttlichen."
c) Religiöse Gefühle und Einstellungen
Kutschera: "Da Transzendentes für den Menschen überragende Bedeutung hat, ist es
immer auch Gegenst In dligiöser Gefühle."
Religiöse Gefühle beziehen sich zum einen auf die Gottheit (Ehrfurcht,Verehrung) und
zum anderen auf das menschliche Leben (z.B. Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar
getragen), dort gelten sie sowohl den Mitmenschen wie der Natur.
d) Religiöse Sprachen
Im Religiösen wird zwar auch die Alltagssprache verwendet (kein autonomes Sprachspiel),
aber es gibt spezifisch religiöse Vokabeln, Ausdrucksweisen, Formeln und Symbole.
"Eine generelle Eigenart religiöser Aussagen besteht ... darin, daß sie Transzendentes
weniger beschreiben als erlebnismäßig verdeutlichen."
Religiöse Sprache muß, so Kutschera, die Werthaftigkeit des praktisch und emotional
Bedeutungsvollen, dem menschlichen Erleben nahebringen. Von daher besteht eine
gewisse Affinität von religiöser und dichterischer Sprache.
Als weitere Komponenten einer Religion nennt Kutschera im folgenden "Kult",
"Religionsgemeinschaft und religiöse Institutionen", deren Ausführung ich hier jedoch
entfallen lasse.
In der Darstellung Kutscheras Religionsverständnis ist deutlich geworden, daß er eine
sehr praktische Sicht der Religion hat. So kommt er zum Transzendenzbezug über die
Grenzÿÿïÿżÿ, die der Mensch in seinem Lebensvollzug stellt bzw. stellen muß und betont
den Aspekt an Religion, wo der Mensch Antworten auf diese Fragen findet. In dieser
Sichtweise erscheint die Vermittlung einer positiven Weltsicht als ein wesentlicher Grund
zum religiösen Glauben. Theoretische Aspekte der Religion sind hier unwesentlich. Die
Verdrängung des theoretischen Teils der Religion in seiner Religionsphilosophie
begründet er mit der nicht vorhanden rationalen Begründungsmöglichkeit, sowie der
fehlenden Bedeutung für den heutigen Menschen. Es wird jedoch nicht von ihm behandelt,
inwieweit diese praktischen Gründe eben vom theoretischen Teil der Religion abhängen.
Von daher ist nicht klar, ob seine Fixierung gerechtfertigt ist.
3 Vernünftigkeitskriterium: Bewährung im Leben
Die Betonung des praktischen Charakters der Religion, rechtfertigt Kutscheras
Verständnis der Religion als "Lebensform". Was genau unter einer "Lebensform" zu
verstehen ist und was Kutschera mit seinem Kriterium der vernünftigen Rechtfertigung
des religiösen Glaubens durch die "Bewährung im Leben" des Einzelnen bzw. einer
Gemeinschaft meint, ist entscheidend. Hiervon hängt ab, ob er sich Vorwürfen, die seinen
Vorläufern Kant und James gemacht werden, glaubhaft entziehen kann.
Religiöser Glaube umfaßt nach Kutschera das ganze Leben. Er werde von emotionalen
und voluntativen Einstellungen getragen und zeige sich in der Praxis durch Verhalten, das
"...von religiösen Anschauungen geprägt ist und ihnen Geltung im Leben verschafft...".
Insofern sei es ebenso gerechtfertigt, Religion als "Weltanschauung" wie als "Lebensform"
zu bezeichnen. Zum einen impliziere der Begriff "Weltanschauung" aber nicht nur ein
Welt- und Selbstbild des Menschen, sondern eben auch eine "...damit verbundene
praktische Haltung und emotionale Einstellung zu Welt und Leben. Sie ist dann auch nicht
nur eine Anschauung der empirischen Wirklichkeit, sondern der Gesamtwirklichkeit, die
eben für das religiöse Bewußtsein über das Wahrnehmbare hinausreicht". Andererseits
umfasse dann der Begriff "Lebensform" nicht nur die Aspekte praktischer Haltung zum
Leben, sondern müsse auch durch Welt-, Selbstbild und emotionale Einstellung fundiert
sein.Der Wert der Religion, die also unser ganzes Leben betreffe, hier knüpft Kutschera
an W.James an, liege im Wert für das Leben des Einzelnen wie für das der
Gemeinschaft. Dazu gehöre aber, wie wir im Abschnitt "Religionen als Antworten auf
existenzielle Fragen" sahen, auch die Gründung im Transzendenten. Denn ohne diesen
Grund der emotionalen und praktischen Einstellungen des religiösen Lebens seien diese
nur noch durch ihren Wert für das Leben des Einzelnen bzw. der Gemeinschaft begründet,
dies führe aber zu einer pragmatischen Färbung des Bewährungsgedanken wie bei
James. Kutschera grenzt sich also durch die Betonung des transzendenten Grundes der
Religion von den Gedanken James ab.
Was bedeutet das aber in Bezug auf die Frage nach der Wahrheit der Religion, die ja
M.Bordt als aktuelle Herausforderung der Religionsphilosophie in Anbetracht der Viel-
zahl der religiösen Angebote bezeichnete? Bordt selbst sagt dazu, daß "...diese
Bewährung nicht mehr intersubjektiv sein kann". Es gebe keine objektiven Kriterien an
denen man feststellen könne, ob eine Bewährung der Religion im jeweiligen menschlichen
Leben vorliege: das muß der Einzelne entscheiden.
Bordt betont aber, daß sich damit nicht ein Relativismusvorwurf erheben lasse. Zuerst
müsse unterschieden werden zwischen Wahrheit innerhalb einer Religion und der Frage
ob "...die Rede von der 'absoluten Wahrheit' ein sinnvoller Ausdruck ist, um damit ein
Kriterium zu benennen, mit dem man die eigene und andere Religionen und Weltanschau-
ungen legitim beurteilen kann". Denn auf die erste Frage antworte die "neue
Religionsphilosophie" und damit auch Kutschera mit Ja, während die zweite verneint
werde. So gebe es innerhalb einer Religion Annahmen, die ihr Vertreter nicht ernsthaft
bezweifeln kann. Die Frage nach der absoluten Wahrheit einer Religion in der Vielzahl
religiöser Angebote, könne man aber nur sinnvoll beantworten, wenn uns die Möglichkeit
eines absoluten Standpunktes (bzw. Standpunkt jenseits von Paradigmen) gegeben wäre,
von dem sich das beurteilen lasse. Da das nicht der Fall sei, könne man dazu aber nichts
sagen. Es kann also nur ein notwendig subjektiv-absoluter Standpunkt vertreten werden.
Den Vorteil solcher Konzeptionen, wie sie hier von Kutschera vertreten wurde, sieht Bordt
in der guten Ausgangsbasis für Dialoge mit anderen Religionen. Man könne nämlich über
die Bewährung bzw. der Wirkung der Religion in den verschiedenen Lebensbereichen und
deren Vernetzung reden.
3.1 Einwände gegen das Bewährungskriterium
Des öfteren wurden schon mögliche Einwände gegen die Rechtfertigung des Glaubens
durch seine Bewährung im Leben erwähnt. Hier werden sie jetzt noch mal im einzelnen
behandelt.
3.1.1 Bewährung im Zirkel
In diesem Einwand wird darauf hingewiesen, "...daß Lebensziele teilweise selbst schon
von religiösen Vorstellungen geprägt sind". Die Frage ist nun, ob sich die Religion nur
bezüglich ihrer eigenen Wertvorstellungen bewährt?
Kutschera verneint dies, da hier offensichtlich keine Determinierung vorliegt. Unsere
Lebensziele sind eben nur teilweise und nicht vollständig von religiösen Vorstellungen
geprägt. So seien unsere Lebensziele ja nicht unabhängig von unseren eigenen Erfahr-
ungen: Wenn sich ein Wertmaßstab im Leben als unsinnig erweist, wird er wohl nicht
weiter verfolgt werden.
3.1.2 Einseitiges Religionsbild
Hier wird hevorgehoben, daß Religion nicht nur aus einer praktischen Haltung besteht,
sondern auch aus theoretischen Annahmen. Kutschera hat diese in seinem Religionsbild
ja keineswegs geleugnet. Aber er betont, daß "...Überzeugungen oft auch von affektiven ...
Einstellungen getragen oder mitbestimmt werden" und richtet sich damit gegen die
"...universelle Anwendbarkeit der Rationalitätskriterien".
So seien rationale Versuche der Glaubensbegründung offensichtlich gescheitert:
"An Gott glaubt man nicht aufgrund von sachlichen Argumenten für seine Existenz, sondern
weil dieser Glaube unverzichtbarer Teil einer Lebensform ist, in der man Erfüllung seiner
zentralen Anliegen findet, einen Sinn für sein Leben und die Quelle von Hoffnung und Zuversicht."
Das bedeutet nicht, daß der Verstand hier nichts zu suchen habe. Man benötigt auch den
Verstand, um zu beurteilen ob diese Erfüllung vorliegt: "Glaube ist eine Haltung der
ganzen Menschen und damit auch, aber eben nicht nur eine Sache des Verstandes."
3.1.3 Funktionalismus
Wird Religion in der Legitimation durch Bewährung im Leben aber nicht ein Mittel zum
Zweck? Sie wäre dann sozusagen die Pille für eine positive Lebenseinstellung. Das wäre
Funktionalismus, d.h. es kommt nur darauf an den Zweck der Sinn- bzw. Normengebung
zu erfüllen, auf die Wahrheit der Annahmen kommt es dabei nicht an.Kutschera wehrt sich
gegen diesen Vorwurf, in dem er den doxastischen Charakter seines Religionsbildes
betont.
Was ist aber ein doxastischer Glaube? Kutschera unterscheidet drei Formen der Ver-
wendung des Verbs "glauben":
a) Jemand glaubt, daß etwas der Fall ist.
b) Jemand glaubt jemandem oder einer Versicherung oder Zusicherung von jemandem
(schenkt dem Glaube, was jemand behauptet oder verspricht)
c) Jemand glaubt an jemanden oder etwas.
Der doxastische Glaube ist nun, so Kutschera, von der Form a. Es ist ein Führwahrhalten:
"Eine Person a glaubt, daß ein Sachverhalt p besteht, wenn a vom Bestehen von p über-
zeugt ist oder p die subjektive Wahrscheinlichkeit 1 zuordnet." Es liegt hier also ein
doxastischer Glaube vor, wenn a die Wahrheit von p annimmt.
Auch die Form b kann einen solchen Glauben implizieren: Die Person a glaubt hier der
Person b und geht daher davon aus, daß ihre Aussagen der Wahrheit entsprechen und
übernimmt sie deshalb selbst als wahr.Diese Form wird auch fiduzieller Glaube genannt:
Jemand glauben heißt ihm Vertrauen.
"Wir können dann sagen, daß der doxastische Glaube, der sich mit dem Vertrauen verbindet auf
Zutrauen beruht: Wir glauben, daß jemand die Wahrheit sagt oder seine Zusage eingehalten wird,
weil wir Zutrauen zu ihm haben."
In beiden Formen des doxastischen Glaubens die hier genannt wurden, ist die Tatsache
entscheidend, daß die Wahrheit einer Aussage oder eines Tatbestandes angenommen
wird. Für den Funktionalismus kommt es dagegen ja nicht auf die Wahrheit an, lediglich
die Zweckerfüllung ist wichtig. Es entspricht außerdem dem Funktionalismus, so
Kutschera, daß Religion sich nur bezüglich der gegebenen Interessen eines Menschen
bewährt: z.B. indem sie sein subjektives Wohlbefinden steigert. Dagegen erscheint es
Kutschera als offensichtlich, daß Religion uns Wertmaßstäbe vermitteln will, die in
unserem bisherigen Wertesystem eventuell nicht vorhanden waren.
Daß Kutschera nur eine notwendig subjektiv-absolute Wahrheit annimmt habe ich ja
bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel (vergl. S.10) mit M.Bordt erläutert. Kutschera
selbst sagt dazu:
"Für die Entscheidung für einen Glauben als Lebensform gibt es keine objektiven, sondern nur
subjektive Kriterien der Rationalität."
Aber das subjektive Führwahrhalten des Glaubens ist entscheidend:
"Religionen machen Aussagen über das, was objektiv wahr und wichtig ist, und fordern uns auf
entsprechend zu handeln; sie sagen uns, worauf wir vertrauen können. Sie verlieren daher
jeglichen Wert für den, der nicht an die Wahrheit ihrer Aussagen glaubt."
Hier sagt Kutschera vom Funktionalismus nicht nur, daß er dem Phänomen der Religion
nicht gerecht werde, sondern betont auch die Unmöglichkeit der bloßen Indienstnahme
der Religion, ohne ihre Wahrheit anzunehmen. Wenn man aber ihre Wahrheit annimmt,
liegt kein Funktionalismus mehr vor, denn dann benutzt man sie nicht mehr zur Erfüllung
seiner Zwecke, sondern folgt ihr in Absehung von den eigenen Zielen, ob diese nun mit
denen der Religion übereinstimmen oder auch nicht:
"Wahrheit und Geltung sind objektiv, das subjektive Moment liegt nur darin, daß sich diese Über-
zeugungen nicht durch Argumente mit allgemein akzeptierten Prämissen vermitteln lassen, sondern
auf eigenen Erfahrungen beruhen. Was allgemein akzeptiert ist, ändert sich. Mit der Betonung der
individuellen Glaubensentscheidung soll hier also nicht impliziert werden, daß es in religiösen
Fragen nicht auf objektive Wahrheit ankommt, vielmehr soll betont werden, daß man den eigenen
Glauben nicht von dem abhängig machen muß, was gerade allgemein akzeptiert wird."
3.2 Bewährungsproben
Die Vernünftigkeit des Glaubens läßt sich nach Kutschera nicht für jedermann nach-
weisen, es handelt sich um eine Entscheidung des einzelnen Menschen. Philosophie
hat hier also nichts mehr zu sagen, denn sie zielt auf allgemein akzeptierbare Resultate.
Daher "...muß sich die Religionsphilosophie dann darauf beschränken, die Natur des
Rechtfertigungsproblems zu verdeutlichen und die Möglichkeit einer subjektiv-rationalen
Rechtfertigung religiöser Glaubenshaltung aufzuweisen".
Kutschera verweist konkretere Gedanken über Lebenserfahrungen und -ziele in den
Bereich der Theologie. Hier würde insbesondere die Beeinflussung der Ziele durch
negativen Erfahrungen eine Rolle für die Bewährung des Glaubens im Leben spielen.
Stattdessen erörtert er Probleme von allgemeiner Bedeutung, auf die Rechtfertigung
religiösen Glaubens stößt, z.B. in Hinblick auf den Transzendenzbezug, den
Offenbarungsanspruch und den sozialen Charakter des religiösen Glauben.
3.2.1 Das Problem der Transzendenz
Wie wir sahen, gründet Religion im Transzendenten.Daher bedeutet die Beschränkung auf
eine immanente Weltsicht eine Infragestellung jeder Religion.Heute herrsche,so Kutschera
,aber gerade eine skeptische Haltung gegenüber jeder Art von transzendenter Realität
vor. Der zentrale Einwand dieser gegen eine transzendentale Realität besagt, daß
unser einziger Zugang zur Außenwirklichkeit Erfahrung sei. Für eine "Hinterwelt" gebe es
keine empirischen Hinweise, "...denn alle empirischen Phänomene lassen sich
immanent erklären". Gerade daß sich alles immanent erklären lasse, bezweifelt
Kutschera nun aber. Auch setze der Einwand eine totale Verschiedenartigkeit von trans-
zendenter und empirischer Realität voraus, den aber nicht alle Religionen annehmen
würden. Schließlich impliziere der Einwand genaue Grenzen des Erfahrbaren, die es
jedoch nicht gebe. Kutschera hat ja dagegen schon die Erfahrbarkeit des Transzendenten
in den Grenzfragen verdeutlicht. Die Annahme einer Realität für die keine Erfahrungen
(welcher Art auch immer) sprechen wäre dagegen sicherlich problemtaisch, so Kutschera.
Weiter sei es problematisch, die Grenzen des Seienden mit denen unserer Wahrnehm-
ungsfähigkeit gleichzusetzen: "Ein Grund, warum sich die Grenzen der Realität gerade
mit den Grenzen unserer Wahrnehmungsfähigkeit decken sollten, ist nicht in Sicht."
Das Problem der Religion liege daher nicht in der Annahme einer transzendenten Realität,
sondern in der Füllung dieser Realität mit einer Religion bzw. eines Glauben an einen
persönlichen Gott. Dies sei der Vernunft nur durch das Bewährungskriterium zugängig.
Ich habe ja schon den Entscheidungscharakter des Glaubens, den Kutschera betont,
öfters erwähnt. Kutschera arbeitet nun eine differenziertere Sichtweise von ihm heraus. Er
sagt, daß man nicht nur auf die Vor- und Nachteile der einen Möglichkeit (Glaubens-
bejahung) schauen dürfe. Für eine rationale Entscheidung sei es notwendig, auch die
Konsequenzen der alternativen Möglichkeit (rein immanente Weltsicht) zu beachten.
Diese rein immanente Weltsicht, nehme die empirische Realität als einzige an. Kutschera
setzt sie mit dem Szientismus gleich, nach dem nur das wirklich ist "...was Gegenstand der
Naturwissenschaften ist oder dazu gemacht werden kann, so daß die gesamte Wirklich-
keit als prinzipiell naturwissenschaftlich beschreibbar und erklärbar erscheint". Es
werden hier also auch die Begebenheiten induktiv als innerweltlich erklärbar angesehen,
für die es noch keine Erklärung gibt.
Das bedeutet aber, daß diese Ansicht keineswegs bewiesenermaßen gelte, sondern man
sich dazu entscheiden müsse, wie für die religiöse Glaubenshaltung auch. Daher müssen
wie in Sachen Religion die Gottesbeweise, ähnliche Versuche auch auf naturwissen-
schaftlicher Seite verworfen werden. Zur Zeit gilt dies auf jeden Fall, wahrscheinlich aber
immer. Für eine vernünftige Entscheidung gilt es nun beide Möglichkeiten miteinander zu
vergleichen.
Was sind nun aber die Antworten der immanenten Weltansich auf religiöse und philo-
sophische Fragen, z.B. "Woher kommen wir?", "Wohin gehen wir?", "Was ist die Be-
stimmung des Menschen?". Kutschera sagt, darauf antworte die immanente Weltsicht so:
"Der Mensch ist Produkt der biologischen und kulturellen Evolution, die sich ebenso wie jene aus
Zufall und Notwendigkeit ergibt. Sein Wesen - das die Frage nach seinem Ursprung mit anzielt -
ist bestimmt durch seine biologischen Erbanlagen und sein kulturelles Lebensmilieu, und unter-
liegt mit ihnen dem Wandel."
Und weiter:
Das Schicksal der Menschheit sei letztendlich der Tod. Es gebe keinen Sinn des Lebens.
Objektive Geltung kommt dann, so Kutschera, nur Fakten zu. Werte seien nicht Gegen-
stand der Naturwissenschaften und haben daher auch keine objektive Realität. Werte,
Normen und Ziele kann sich daher jeder selbst setzen. Dies wurde oft als Befreiung des
Menschen angesehen. Aber was ist das noch für eine Freiheit, wenn man durch Erb-
anlagen und kulturelles Umfeld determiniert ist:
"...Kant sagt, nicht mehr als die "Freiheit des Bratenwenders", der ja auch seiner inneren Tendenz
(der durch das Aufziehen einer Feder bewirkten Tendenz, sich zu drehen) folgen kann."
Nach Kant könne man, so Kutschera, nur von Freiheit sprechen, wenn auch die Ziele und
Wertmaßstäbe selbst gesetzt werden: "Für ihn ist Freiheit insbesondere die Fähigkeit,
gegen unsere egoistischen und materiellen Interessen als Sinneswesen das moralisch
Gute zu wollen und zu tun."
Auch sei es ein großes Problem für unsere gegenwärtige Kultur, wenn es keine objektiven
Werte gebe. Denn dann verliere die Rede von Menschenwürde und Menschenrechten
ihren Sinn. Dies werde oft übersehen, wenn man angesichts der Befreiung von Pflichten
frohlockt. Die Rechte der einen Person sind die Pflichten der anderen und umgekehrt. So
werde ein Konflikt zwischen theoretischer Überzeugung und praktischer Befolgung bei
vielen Anhängern der immanenten Weltsicht deutlich:
"Dann kann ein tragisches Verständnis menschlicher Existenz entstehen: Ein tragischer Konflikt
ergibt sich, wo jemand so stark an bestimmten Idealen orientiert ist, daß er nicht davon ablassen
kann, sie zu verfolgen, ohne sich selbst aufzugeben, obwohl er weiß, daß er dabei scheitern muß.
Was für ein Mensch jemand ist, bestimmt sich ja wesentlich aus seinen Idealen und Zielen, und
es gibt Ideale, die man nur um den Preis der eigenen Identität aufgeben kann."
Wer sich also als einerseits als bedingt und vergänglich ansieht, dem aber seine Wert-
maßstäbe und Ziele nicht anpassen kann, sehe sich in einer tragischen Situation, meint
Kutschera.
Eine immanente Weltsicht sei zwar nicht notwendig nihilistisch und könne durchaus Werte
mit relativer Geltung anerkennen, zumal sie sich in praktischer Hinsicht meist mit einem
Humanismus verbindet, der sich zu Freiheit, Solidarität und Menschenwürde bekenne.
Aber ein Humanismus mit entschiedener Betonung der menschlichen Selbstzwecklichkeit
des Menschen und seiner unaufgebbaren Würde (Kant) findet in einem immanenten Welt-
bild keine Grundlage.
Zusammenfassend sagt Kutschera dann:
"Sowohl einer immanenten wie einer religiösen Weltanschauung liegt eine existenzielle Entscheid-
ung zugrunde. Beide lassen sich rein theoretisch weder hinreichend begründen noch widerlegen.
Eine immanente Sicht hat heute zweifellos ,die stärkeren theoretischen Gründe für sich. Für den
Glauben an eine transzendente Realität sprechen andererseits die stärkeren praktischen Gründe,
sofern es uns auf den Wert und Sinn menschlichen Lebens ankommt, denn die finden in der
empirischen Realität keinen Halt."
3.2.2 Erklärungen religiöser Anschauungen
Wenn man eine transzendente Realität bestreitet, finden religiöse Vorstellungen keine
zureichende Begründung mehr. Als was wird das Phänomen Religion dann aber verst-
anden, wenn es nicht das sein kann was es nach eigener Aussage ist?
Kutschera geht nun einige Erklärungsversuche religiöser Anschauungen durch.
a) Religiöse Anschauungen als Relikte primitiven Denkens
Hier wird aus der Tatsache, daß alle bedeutenden Religionen ihre Wurzeln in der Zeit
mythischen Denkens haben, auf die Behauptung geschlossen, sie seien Relikte dieser
Zeit. Kutschera zitiert dazu L.Levy-Bruhl: 'In jedem menschlichen Geist, wie weit seine
intellektuelle Entwicklung auch fortgeschritten sein mag, bleibt ein unausrottbarer Rest
primitiver Denkweise vorhanden". Aus diesen Relikten, die jeder heutige Mensch in sich
trägt, wird nun die trotz aller heutigen Wissenschaftlichkeit vertretene Annahme einer
transzendenten Realität begründet.
Kutschera weist diesen Erklärungsversuch zurück. Aus der Tatsache, daß Religionen ihre
Ursprünge in mythischer Zeit haben, folge nicht daß diese nur Prodkukte mythischen
Denkens sind: "Auch die Ansicht, daß Pferde vier Beine haben, reicht in Zeiten myth-
ischen Denkens zurück, ohne deswegen Produkt mythischen Denkens zu sein."
Auch sei nicht ersichtlich von woher wir es uns erlauben könnten, den Begriff "mythisches
Denken" in einem abwertenden Sinn zu verwenden. Unsere Rationalität sei für mythisches
Denken nicht rational: "Daß sich für uns unser eigener Rationalitätsbegriff von selbst ver-
steht, besagt noch nicht, daß er der bessere ist." Der Grund dafür, daß sich Reste
mythischen Denkens in den Religionen halten, könnte auch der Natur sein, wie wir immer
noch annehmen, daß Pferde vier Beine haben. Kutschera behauptet auch philosophische
und mystische Quellen für die Annahme transzendenter Realität, so daß der Erklärungs-
versuch schon in seiner Grundvoraussetzung unglaubwürdig wird.
b) Ludwig Feuerbach
Auch Feuerbach ordnet der Religion eine primitive Bewußtseinsstufe zu. Auf dieser Stufe
projiziere der Mensch unbewußt seine ideale Wirklichkeitsvorstellung auf die Annahme
einer transzendenten Wirklichkeit: "Das Göttliche erfüllt unsere tiefsten Sehnsüchte, weil
es deren Projektion ist." Gott werde als Person gedacht, weil auf ihn die Vorstellung
eines idealen menschlichen Wesens projiziert worden sei.
Kutschera findet diesen Ansatz durchaus interessant, meint jedoch, daß es selbstver-
ständlich sei, daß wir uns Gott nach menschlichem Maß vorstellen. Daraus folge jedoch
nicht, daß auch das Objekt unserer Vorstellung der Vorstellungskraft entspringe. Dazu
wäre zu zeigen, daß Gottesvorstellungen keinen realen Bezug haben. Das setze
Feuerbach seiner Argumentation aber schon voraus und weist es nicht auf. Kutschera
meint außerdem, daß der Erklärungsversuch den christlichen Glaubensinhalten wider-
spreche, wenn man aber etwas erklären will, muß man dieses auch als Grundlage seiner
Erklärungen nehmen und nicht ein zurechtgebogenes Bild, das in die Erklärung passe.
So erklärt man vielleicht dieses "zurechtgebogene Bild" aber nicht das ursprünglich
anvisierte Erklärungsobjekt. Beispiele für solche Widersprüche bei Feuerbach sind für
Kutschera, das Verständnis der Werte der Religionen als unsere Idealwerte. Dies wider-
spreche jedoch der Tatsache, daß Gott in der christlichen Religion als Fordernder er-
scheine. Auch werde Gott im chrsitlichen Glauben nicht als idealisierter Mensch ver-
standen, "...sondern als ein den Menschen prinzipiell überragendes Wesen".
Den Widerspruch im Werteverständnis den Kutschera sieht, würde ich jedoch nicht ohne
weiteres übernehmen, da ja auch unsere Idealwerte fordernd an uns herantreten können.
Im Endeffekt stimmt aber, daß Feuerbachs Erklärunsversuch viele Lücken und Ungereimt-
heiten enthalte, wie Kutschera schließt.
c) Religiöse Anschauungen als Projektion von Wünschen oder Ängsten
Auch hier liegt der Gedanke zugrunde, daß die Religion eine Projektion subjektiver
Gefühle in eine supranaturale Wirklichkeit ist. Dabei beruft man sich jedoch auf individual-
psychologische Mechansimen: Siegmund Freud geht bei seinem Erklärungsversuch z.B.
von der Ähnlichkeit zwischen religiösen Haltungen zu Gott und der Haltung des Kindes
zum Vater aus: "Die infantile Situation der Abhängigkeit bleibt auch dem Erwachsenen und
so schafft er sich in Gott eine ideale Vatergestalt".
Dann wären religiöse Anschauungen der Ausdruck von Massenneurosen. Es bedeutet
eine große Erleichterung der Psyche, wenn nicht überwundene Konflikte der des Verhält-
nisses Kind/Vater "...ihr abgenommen und einer von allen angenommenen Lösung zu-
geführt werden."
Auch diesen Ansatz kritisiert Kutschera. Aus Ähnlichkeiten zwischen kindlichen Haltungen
zum Vater und religiösen zu Gott folge nicht, daß diese in verschiedenen Lebensphasen
einander entsprechen. Auch hätten Glaubende nicht die typischen Merkmale für Neurosen
(Kopfschmerzen, Herzklopfen, Erbrechen, Impotenz).
Dieser letzte Kritikpunkt an Freuds Argumentation scheint aber problematisch, weil er
ja eben sagt, daß die Psyche durch den Glauben erleichtert werde und daher die
angeführten Merkmale wohl nicht mehr anzutreffen sind. Kutschera bemerkt hier aber, daß
bei Freud unklar bleibe, warum eine Projektion ambivalenter Gefühle eine psychische
Entlastung bewirke. Auch lasse sich "...die Analogie zwischen Vater- und Gottgestalten
einfacher daraus verstehen, daß sich Gottesvorstellungen naturgemäß an Phänomenen
aus dem Bereich menschlicher Erfahrungen richten, und daß in patriarchischen Gesell-
schaften der Vater eine Leitfigur ist". Und schließlich sei eine allgemeine Verbreitung
des Oedipus-Komplexes wissenschaftlich umstritten.
d) Soziologische Erklärungen religiöser Anschauungen
In dieser Richtung wird die Religion schließlich als eine Fiktion der Regierenden (vergl.
Kritias "Sysyphos") zum Zwecke des Machterhaltes erklärt. Karl Marx spricht von einer
politischen Ausbeutung bereits bestehender religiöser Anschauungen. Die Religion ver-
spreche den Gläubigen ein jenseitiges, "illusorisches" Glück, das sie über die triste
Gegenwart trösten soll, damit sie keinen Grund haben gegen das Ausbeutertum zu
revoltieren. Religion ist dann das "Opium des Volkes".
Kutschera wendet dagegen ein, daß es nicht nachvollziehbar sei, wenn man die seit vielen
Jahrhunderten feststehenden zentralen christlichen Doktrinen, als von den herrschenden
sozialen und ökonomischen Verhältnissen produzierte Machterhaltsvertröstungen erkläre.
Dazu habe sich im sozialen und ökonomischen Bereich über die Jahrhunderte zu viel
geändert.
Dies scheint mir jedoch keine zureichende Widerlegung des Marx'schen Ansatzes zu sein.
Denn sicherlich lassen sich zu allen Zeiten Anhaltspunkte für Ausbeuter und Ausge-
beutete finden.
Bleibt noch die allgemeine Kritik an solchen Erklärungsversuchen, in der Kutschera
Evans-Pritchard folgt: Alle pauschalen Erklärungen, die Religion auf einen Grund
reduzieren, scheitern an der Fülle der Phänomene, weshalb es immer Fälle bzw. Aspekte
der Religion gibt die dem Erklärungsversuch widersprechen. Auch ließen sich Behaup-
tungen über den Ursprung von Entwicklungen wie der der Religion nie ausreichend durch
Fakten oder Zeugnisse belegen: "Der Ursprung der Religion wird aller Voraussicht nach
ebenso im Dunkeln bleiben wie jener der Sprache."
Als wichtige Einsicht bleibt für Kutschera noch, daß man Erklärungsversuche, die man für
die eigene Religion abweise, auch für andere Religionen abweisen müsse.
3.2.3 Der Wandel religiöser Ansichten
Die religiösen Aussagen werden von den Gläubigen als autorative Kunde vom Göttlichen
mit Offenbarungscharakter verstanden. Es kommt auf eine gute Überlieferung an. Es zeigt
sich aber, daß diese Aussagen im Laufe der Zeit verändert werden. Damit wird der Offen-
barungsanspruch problematisch, weil man nicht weiß ob es sich nicht doch nur um
wandelbare menschliche Ansichten handelt: "Diese Diskrepanz zwischen dem Selbstver-
ständnis und der historischen Entwicklung der Religionen bildet heute ein weiteres ernst-
haftes Problem für den Glauben."
Kutschera weist diesen Wandel von religiösen Ansichten nun für das Christentum nach.
Der christliche Glaube berufe sich auf geschichtliche Ereignisse und sei deswegen ganz
besonders für historische Kritik erschließbar. Kutschera zeigt nun ausführlich die
Entwicklung des AT, sowie unterschiedliche Glaubensaussagen von zu verschiedenen
Zeiten geschriebenen Schriften innerhalb des AT bzw, auch des NT auf.
Ich gebe diese Ausführungen nun nicht im einzelnen wieder, sondern werde einzelne
Punkte erwähnen.
So bemerkt Kutschera z.B., daß bis zu Jesaja der Tod als endgültig angesehen wird. Erst
danach setzte sich im AT der Glaube an ein ewiges Leben durch und damit vollzog sich
auch ein tiefgreifender Wandel im menschlichen Selbstverständnis. Auch seien in AT und
NT gravierend unterschiedliche Aussagen über Jesus zu finden. Schon die
Bezeichnungen "leidender Gottesknecht", "Menschensohn" , "Welterlöser", "Messias",
"Sohn Gottes", "Christus", "der Herr" verdeutlichen hier unterschiedliche Schwerpunkte.
Daher stellen sich nun für Kutschera Fragen nach der Einheit in der Vielfalt der Schriften, ns. Sie überschneidet sich mit der rationalen bzw. natürlichen Theologie, die versucht rationale erkennbare Grundlagen und Inhalte des Glaubens ohne dogmatische Voraussetzungen zu entwickeln.
Kutschera sagt nun als Religionsphilosoph folgendes zu den obigen Fragen:
Es müsse zwischen dem was von einer Sache oder Person geglaubt wird und ihr selbst
unterschieden werden. Der Jesus der Exegeten ist also nie der wirkliche Jesus. Ein
Wandel in den Überzeugungen impliziert aber nicht, daß sie verschiedene Gegenstände
haben. Die Exegeten beziehen sich alle auf den einen Jesus. Auch sei das wesentliche
des christlichen Glaubens klar: die Nachfolge Christus. Theoretische Ansichten über Gott
und Christologien seien kein Ersatz für die Nachfolge Christus.
Glaube sei seinem Selbstverständnis nach eine personale Beziehung zu Gott. Es ist
insgesamt wichtig für Kutschera, daß sich Religionsphilosophie auf das Selbstverständnis
der Religion beziehen muß. Nur dann kann sie sehen, ob es vernünftig ist zu glauben.
Eine persönliche Beziehung zum unsichtbaren Gott erlangt man nach Aussage des christ-
lichen Glaubens über die Liebe zum Nächsten, sagt Kutschera. Der gemeinsame Kern der
NT Botschaft ergibt sich für ihn dann weniger im Inhalt, sondern im existenziellen Gehalt.
Daher sei auch von Offenbarung nur im weiteren Sinne zu reden: Es handelt sich nämlich
nicht um wörtlich wahre Aussagen. Und zwar in dem Sinne, daß hier die Verfasser
versucht haben reale Erfahrungen auszudrücken. Sie können daher als Offenbarung im
weiteren Sinne verstanden werden:
"Der Wandel in den religiösen Traditionen ist also nicht so gravierend, wenn man weniger auf
den wörtlichen Sinn als auf den existenziellen Gehalt der Aussagen sieht. Tut man das, so muß
man jedoch die Annahme einer Offenbarung i.e.S. aufgeben, die traditionell als entscheidende
Stütze des Glaubens gilt."
Als weitere Probleme für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens nennt Kutschera noch
die Tatsache, daß viele Religionen Vorstellungen aus anderen übernommen haben. Dies
sieht Kutschera jedoch in seiner Konzeption der Offenbarung i.w.S. nicht als prob-
lematisch an. Dann könne man durchaus Konzeptionen fremder Religionen zum Ausdruck
eigener religiöser Erfahrungen oder Erwartungen nehmen.
Außerdem sei die Vielfalt der Religionen problematisch, denn sie wird als Argument für die
Subjektivität religiöser Annahmen und einer Skepsis in religiösen Fragen verwendet. Dies
ist für Kutschera jedoch ein rein akademisches Problem, weil für den einzelnen bei der
Entscheidung zum religiösen Glauben in der Regel von alleine nur eine Religion in Frage
komme Kutschera nennt hier keine Gründe warum dies so ist. Ein möglicher Grund ist
jedoch, daß der einzelne Mensch wesentlich durch seinen Kulturkreis geprägt ist, dieser
jedoch wieder von einer bestimmten Religion bestimmt wird.
Natürlich muß auch das Theodicee Problem beachtet werden, weil nicht nur die Aussagen
einer Religion auf ihre Vernünftigkeit zu prüfen sind, sondern auch ihre offenen Fragen in
ihrer Bedeutung bedacht werden müssen. Die Einsicht besteht für Kutschera dabei darin
, daß hier offensichtlich die Religionen keine umfassenden Antworten auf existenziell
relevante Probleme haben.
Kutschera betont zuletzt, daß er diese Probleme nicht aufgeführt habe, um eine positive
Antwort zu geben, sondern um die Aspekte von Glaubensentscheidungen zu verdeut-
lichen:
"Sie alle sind keine Hindernisse, an denen eine Entscheidung für einen religiösen Glauben
scheitern müßte, wohl aber echte Schwierigkeiten, denen sie sich stellen muß, ebenso wie
eine Entscheidung dagegen die Probleme zu bewältigen hat, die sich mit einer immanenten
Weltsicht verbinden. Eine praktische Konsequenz der Einsicht, daß jede der beiden Alternativen
ernsten Einwänden begegnet, ist der Respekt vor der jeweils anderen Wahl: Keine ist objektiv
unvernünftig, jeder muß selbst prüfen, welche Haltung sich in seinem Leben bewährt und welchen
Weg er gehen will."
4 Schlußbemerkung
Kutschera bevorzugt in seiner Religionsphilosophie die praktischen Gründe, die Relevanz
für das Leben des Einzelnen haben. Und so läßt sich auch das Ergebnis seiner Religions-
philosophie ganz praktisch zusammenfassen:
Mit den Früchten des "Baumes" Glauben, läßt sich auch die Entscheidung zu seiner
Pflanzung rechtfertigen. Sind die Früchte jedoch mickrig, so ist die Entscheidung zu
überprüfen. Der Boden, der über das Wachstum des Baumes und damit über Qualität und
Quantität der Früchte entscheidet, ist der einzelne Mensch.
Es kann nach Kutschera jedoch nicht nach dem Motto "Versuchs doch mal mit Jesus"
laufen: Wie man schon einige Meditationskurse und Selbsterfahrungsseminare
mitgemacht hat, versucht man es jetzt halt mal mit dem religiösen Glauben. Und wenn das
auch nichts bringt, hat man nur etwas Zeit mit Beten und Gottesdienstbesuchen
vergeudet und ist doch immerhin um die Erkenntnis reicher, daß man damit in Zukunft
wohl keine Zeit mehr zu verschwenden braucht.
Wer die Entscheidung für oder gegen einen Glauben nach solch einer "Trial and error
Methode" vornimmt, zielt nach Kutschera an dem wirklichen Phänomen Religion vorbei.
Denn es kann hier nicht um ein Ausprobieren gehen, sondern um ein Fürwahrhalten:
"Religionen machen Aussagen über das, was objektiv wahr und wichtig ist, fordern uns auf,
entsprechend zu handeln; sie sagen uns, worauf wir vertrauen können. Sie verlieren daher jeglichen
Wert für den, der nicht an die Wahrheit ihrer Aussagen glaubt."
Nur noch als zweckentfremdetes psychologisches Mittel zur Steigerung des subjektiven
Wohlbefindens hat Religion noch Sinn, wenn man nicht an ihre Wahrheit glaubt. Als
solch ein Mittel ist Religion, wenn man ihrem Selbstverständnis folgt, jedoch nicht zu
sehen, wie in den Ausführungen Kutscheras zum Thema "Was ist eine Religion?"
ersichtlich wurde:
"Wie weit auch immer das Festhalten an religiösen Praktiken, die man selbst für illusorisch hält,
verbreitet sein mag, vernünftig ist sie jedenfalls nicht. Ein Placebo zu nehmen, auch wenn man sich
davon überzeugt hat, daß es physisch wirkungslos ist, kann durchaus vernünftig sein, wenn es
weiterhin das subjektive Befinden bessert - es erweist sich dann eben als psychologisch wirksam
und diese Wirkung ist keine Illusion. Ein Medikament zu nehmen, um objektive gesundheitliche
Störungen zu beseitigen, obwohl man an seine objektiven Wirkungen nicht glaubt, wäre hingegen
offenbar unsinnig."
Kutschera kann somit für sein religionsphilosophisches Vorgehen durchaus relevante und
aktuelle Ergebnisse vorweisen. Zu dem eben dargestellten kommt ja noch die bereits
weiter oben erwähnte Möglichkeit der interreligiösen Kommunikation, die sich aus
Kutscheras Religionsphilosophie ergibt. Das Phänomen Religion scheint mir bei Kutschera
weitesgehend adäquat behandelt. Ich stimme zudem W.Dupres Urteil zu:
"Die Entwicklung der hier angedeuteten Perspektiven und Themen, die klare Sprache in Verbindung
mit vielfältigen Informationen, die lebendige Diskussion mit unterschiedlichen Positionen geben dem
Buch einen eigenen Reiz, der zum Lesen anregt und zum Nachdenken auffordert."
Man muß ihm aber wohl auch folgen wenn er sagt:
"Gleichzeitig erheben sich freilich auch Fragen, die die grundlegenden Voraussetzungen des Autors
betreffen und zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen auffordern."
Negativ sehe ich auch den nicht weiter behandelten Zusammenhang zwische theoretischen
und praktischen Gründen. So scheint mir Frage nach dem Ursprung der Welt (theoretischer
Glau_pekt) durchaus relevant für den Umgang mit ihr zu sein (praktischer Aspekt des
Glaubens). Auch scheint mir unzureichend behandelt bzw. betont worden zu sein, daß die
Glaubensentscheidung zwar letztlich eine Sache des Einzelnen ist, dieser aber in
vielfältiger Weise von anderen Menschen bestimmt wurde und wird, die damit auch
wesentlich seine Glaubensentscheidung beeinflussen. Unzureichend scheint mir auch die
Auseinandersetzung mit der Theodicee Frage, aber die fällt in Kutscheras Konzeption von
Religionsphilosophie wohl eher in den Bereich der Theologie.
Einen interessanten Kritikpunkt sieht schleißlich noch A.Engstler, der in Anknüpfung an O.
Marquard bedenkt, daß man sich nach dem Bewährungskriterium ja wohl für die Religion
entscheiden müsse, die sich am besten im eigenen Leben bewährt:
"Da man, solange nicht alle Weltauffassungen durchprobiert sind, nie die Gewähr besitzt, tatsächlich
die beste zu haben, andererseits aber nicht über genug Zeit verfügt, alle durchzuprobieren, sei es
am sichersten - und, wie man hinzufügen könnte, auch subjektiv-rational -, in der Lebenshaltung zu
bleiben, in der man durch Erziehung und Herkunft ohnehin ist. Kutschera meint zwar, die 'Vielfalt der
Religionen' wäre 'eher ein akademisches Problem', da 'bei einer Entscheidung für eine von ihnen ...
in der Regel nur wenige Alternativen zur Verfügung' stünden ..., aber es bleibt doch unklar, worauf
sich diese Behauptung stützt und was die Formulierung 'echte Alternativen' hier besagen kann."
Bleibt noch den Schlußgedanken Engstlers zu folgen, der bei Kutschera und anderen
aktuellen Positionen aktueller deutschsprachiger Religionsphilosophie eine Reduzierung
des religionsphilosophischen Ansatzes ausmacht:
"..., die Stelle der Beweise vom Dasein Gottes können 'Zureden' einnehmen, die lediglich
Hindernisse für den Glauben an Gott beseitigen wollen, die objektive Begründung religiösen
Glaubens durch den Nachweis der Wahrheit seiner zentralen Annahmen schließlich ersetzt der
Verweis auf die Möglichkeit subjektiv-rationaler Entscheidungen für eine religiöse Lebenshaltung.
Ob sich diese Einschränkungen des religionsphilosophischen Anspruchs auf Dauer werden durch-
haltenlassen, muß sich zeigen."
5 Literaturverzeichnis
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Brugger, W. (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch, Freiburg, Basel, Wien 1985.
Dalferth, Ingolf, Buchnotiz zu Franz von Kutscheras "Vernunft und Glaube". In: Philosophische Rundschau 40, Tübingen, 143-144. (Jahresband 1993)
Dupre, Wilhelm, Buchbesprechung zu Franz von Kutscheras "Vernunft und Glaube". In:
Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, Stuttgart 1992, 82-86.
Engstler, Achim, Aktuelle Themen und Positionen deutschsprachiger Religions-
philosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Frankfurt 1992, 288-294. (Jahresband 1992)
Hoerster, Norbert (Hrsg.), Glaube und Vernunft, Texte zur Religionsphilosophie, Stuttgart 1985.
James, William, Die Vielfalt religiöser Erfahrungen, Olten 1979.
Kutschera, Franz von, Glaube und Vernunft, Berlin, New York 1990.
Ricken, Friedo (Hrsg.), Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik, München 1984.
Weier, Winfried, Religion als Selbstfindung, Grundlegung einer Existenzanalytischen Religionsphilosophie, Paderborn u.a. 1991.
Wuchterl, K., Analyse und Kritik der religiösen Vernunft: Grundzüge einer paradigmen- bezogenen Religionsphilosophie, Bern, Stuttgart 1989.
Zahrnt, Heinz, Wozu ist das Christentum gut?, München 1972.