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 Inhaltsverzeichnis

 

 

Einleitung

1.1 Landnahme und erste Siedlungsformen

1.2 Alt-Lübeck

1.3 Zur Missionierung der Wenden

2. Das Bistum und die Stadt unter Heinrich dem Löwen

2.1 Gerold, ein Bischof von Heinrichs Gnaden

2.2 Das Bistum Lübeck

2.3 Die frühesten Urkunden im Bistum Lübeck

2.3.1 Eine Fälschung

2.4 Das Domkapitel zu Lübeck

3. Die Stadt Lübeck

3.1 Eine Stadt wird gegründet

3.1.2 Zur Topographie der Stadt

3.2 Der Handel in Alt- und Neu-Lübeck

3.3 Lübeck 1226

4. Abschließende Gedanken zur Lübeckischen Geschichte und ihrer Geschichtsschreibung

5. Literaturverzeichnis

 

Einleitung

Das Lexikon des Mittelalters definiert den Begriff der Bischofsstadt auf zweierlei Art. Im engeren Sinne wird darunter eine Stadt mit Bischofssitz verstanden, " …in der alle Amtsgewalt vom Bischof abgeleitet ist…". Dabei wird das Straßburger Stadtrecht zitiert, in dem es unter anderem heißt: "omnes magistratus huius civitatis ad episcopi spectant potestatem". Dies trifft für Lübeck nicht zu und wird im Verlauf des Textes noch belegt werden. Im weiteren Sinne gilt aber auch jede Stadt als Bischofsstadt, in welcher ein Bischof seinen Sitz, die sedes episcopalis, hat. Das ist seit Gerold, der 1163 in einer Urkunde Heinrichs des Löwen als erster Bischof Lübecks bezeichnet wird, der Fall.

Lübeck entstand während einer großen mitteleuropäischen Stadtgründungswelle, so werden zum Beispiel Dortmund, Goslar, Münster, Osnabrück, Minden, Hildesheim und Bremen etwa zur gleichen Zeit gegründet. Doch gibt es rechtliche und soziale Besonderheiten Lübecks, die in dieser Arbeit näher untersucht werden sollen. Lübeck ist keine Stadt landesherrlicher oder bischöflicher Provenienz, sondern eine von Fernkaufleuten getragene Ansiedlung auf Kolonialboden. Impulse der Stadtgründung waren zum einen die Bemühungen Heinrichs des Löwen die herzogliche Macht auszubauen und diese mit Hilfe der Städte zu erhalten und zum anderen das Interesse der Kaufleute den Handel in Rechtssicherheit zu organisieren und abzuwickeln.

Die Kirchenpolitik Heinrichs ist ein gutes Beispiel für die Instrumentalisierung der christlichen Religion. Der sächsische Herzog kann nicht als frommer Mann gelten, der ernsthaft an der Lehre Jesu Christi und deren Verbreitung interessiert war. So schreibt selbst der treu ergebene Prediger Helmold über seinen Herrn:

Aber auf allen Feldzügen, die der noch junge Mann ins Slawenland hinein unternahm, war keine Rede vom Christentum sondern nur vom Gelde.

Die Missionierung der ursprünglich ansässigen Wenden zeigt sich als eine Kette von Gewaltakten, die sich über Jahrhunderte hinzieht und an deren Ende die vollständige Assimilation der Abodriten steht. Da keine schriftlichen Zeugnisse der Abodriten überliefert worden – wahrscheinlich gibt es auch keine – sind die zeitgenössischen Nachrichten ausnahmslos von den christlichen Eroberern verfaßt. Die Slavenchronik Helmolds von Bosau ist ein gutes Beispiel für die Motivation und Sichtweise mittelalterlicher Chroniken und wird neben einigen Urkunden als Quelle genutzt.

Die Ereignisse die der Stadtgründung voraus gingen, werden in dieser Arbeit in den Hintergrund treten. Vielmehr werde ich versuchen, einige topographische Merkmale und die Art und Weise der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gründungszeit herauszuarbeiten.

Die Literatur spricht immer von den Bürgern der Stadt. Wenn damit die Bewohner einer Burg oder auch diejenigen, die im unmittelbaren Schutz einer Burganlage leben gemeint sind und sie dieser Umstand zu Bürgern macht, kann ich der Begriffswahl zustimmen. Sollte damit aber eine Gruppe oder Schicht im soziologischen Sinne gemeint sein, halte ich es für sinnvoller von Kaufleuten und Handwerkern zu sprechen. Sinn dieser semantischen Unterscheidung ist es zu vermeiden, daß eine durchgehende Entwicklungslinie zum Bürgertum der Neuzeit gezogen oder diese stillschweigend vorausgesetzt wird.

Die Sorge um das Seelenheil ist im Mittelalter allgegenwärtig und somit bedarf es religiöser Autoritäten und Institutionen, die sich dieser existentiellen Bereiche des Lebens annehmen. Aber der bischöfliche Einfluß ist nicht umfassend, teilweise werden die Bischöfe sogar vertrieben, doch trotz dieser scheinbar antiklerikalen Handlungsweisen ist das religiöse Moment aus einer mittelalterliche Gemeinschaft nicht wegzudenken. Ein wesentlicher Träger dieser Aufgabe ist das Domkapitel. Gleichzeitig sind die Domherren Mittler zwischen kirchlichen und weltlichen Interessen. Deshalb wird die Funktion und Zusammensetzung des Domkapitels Gegenstand eines weiteren Kapitels.

Im letzten Kapitel werde ich versuchen die Ergebnisse zu bündeln und einen Blick auf die Geschichtsschreibung der Stadt Lübeck zu werfen.

 

1.1 Landnahme und erste Siedlungsformen

Die Landnahme, mit ersten nachweisbaren Spuren einer Ansiedlung, geht auf das 6.Jh. zurück. Da es aber auch prähistorische Fundstellen gibt, ist dieses Gebiet keine Neuentdeckung der Germanen oder Slawen. Doch kann ein steinzeitliche Verband, der zufällig oder sogar regelmäßig auf dem späteren Stadthügel Spuren hinterlassen hat, nicht als Gründer Lübecks, gewissermaßen als Ur-Lübecker gesehen werden. Entscheidend für die Lübeckische Geschichte ist die Kategorie Stadt, bzw. die bewußte Ansiedlung unter funktionalen und topographischen Gesichtspunkten.

Die archäologische Forschung geht heute davon aus, daß slawische Stämme bei ihren Wanderungen die nordelbischen Gebiete erreichten und dort auf Reste der germanischen Bevölkerung stießen, die sich nicht den großen Zügen der Völkerwanderung angeschlossen hatten. Diese Stämme werden unter dem Begriff der Abodriten zusammengefaßt und stellen die ansässige Bevölkerung zum Beginn der Kolonisation.

Für die ersten zwei Jahrhunderte nach der wendischen Landnahme finden sich abgegrenzte Gebiete, in denen kleinere Einheiten als Geschlechterverbände oder Kleinstämme siedelten. Die Siedlungen waren meist naturräumlich voneinander geschieden und sind als Bezirke zu verstehen, die neben einer Burg als Mittelpunkt offene, d.h. unbefestigte Siedlungen und Hofstellen umfassen. Ob die Bezirke bereits zu dieser Zeit innerhalb einer größeren politischen Einheit bestanden oder ob sie unabhängig voneinander existierten, kann nicht entschieden werden.

 

1.2. Alt-Lübeck

In die Zeit der abodritischen Besiedlung fällt die Entstehung Alt-Lübecks. Die Errichtung der ersten Burgwallanlage wird auf das Jahr 819 datiert. Obwohl Alt-Lübeck nicht auf dem Gebiet des heutigen Lübeck, sondern sechs Kilometer unterhalb, an der Einmündung der Schwartau in die Trave lag, ist es nicht nur durch den Namen mit dem späteren Lübeck verbunden. Für das 11.Jh. gilt die Stadt als zentrale Residenz des westslawischen Abodritenreiches und weist bereits die für Lübeck prägenden Merkmale auf: eine Burganlage als Zentrum von Herrschaft und Mission, Suburbium mit Ansiedlungen vielfältigen Handwerks und Hafen und Siedlung der Fernkaufleute mit eigener Kirche.

 

 

1.3. Zur Missionierung der Wenden

Über die ursprüngliche Religion der Wenden findet sich in den Quellen kaum Material. Helmold spricht von "vielfältigem Götzendienst und abergläubischer Irrlehre" und zeigt kein theologisches Interesse, sich mit der Religion der Slawen inhaltlich auseinanderzusetzten. Er folgt damit Bernhard v.Clairvaux, der fordert, daß entweder der gentile Glauben oder die ethnische Gemeinschaft der Stämme zu vernichten sei. Die nicht-christlichen wendischen Herrscher werden als Bestien bezeichnet, die erbitterte Feinde der Christen seien und den Göttern durch ihre Priester Menschenopfer darbringen ließen. So heißt es in cap.52 der Slavenchronik:

Und zwar sagt der Priester nach dem Spruch der Orakelstäbchen Feste zu Ehren der Götter an; dann kommen Männer, Frauen und Kinder zusammen und bringen ihren Göttern Opfer dar von Rindern und Schafen, sehr viele auch Menschenopfer von Christen, deren Blut, wie sie sich brüsten, ihre Götter ergötzt. Ist das Opfer getötet, so kostet der Priester vom Blute, um sich zum Empfang göttlicher Weisungen besser zu befähigen.

Inwieweit diese Aussagen der Realität entsprechen, kann ich nicht beurteilen, doch erscheint mir die Motivation dieser und ähnlicher Textstellen, die Rechtfertigung der eigenen Taten und der propagandistischen Wirkung zu sein.

Obgleich die nordelbischen Gebiete bereits 831 in das von Ludwig d. Frommen gegründete Erzbistum Hamburg integriert wurden, kommt der Prozeß der Christianisierung erst gegen Ende des 12.Jh. zu einem vorläufigen Ende.

Otto I. gründet Mitte des 10.Jhs die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Oldenburg. Der wendische Widerstand ist so erheblich, daß nach zahlreichen gewaltsamen Konflikten, die 983 in einem großen Aufstand kumulieren, die Mission zusammenbricht. Erst als der wendische Fürstensohn Gottschalk im 11.Jh. den christlichen Glauben annimmt, sind Neugründungen unter Führung des Erzbischofs Adalbert von Hamburg-Bremen wieder möglich. Um 1060 wird das Bistum Oldenburg wiedererrichtet und Lübeck wird durch die Gründung eines Klosters kirchenpolitisch relevant. Doch bereits 1066 kommt es erneut zu einer gewaltsamen Dechristianisierung. Gottschalk wird erschlagen, Kirchen und Klöster werden zerstört.

Gottschalks Sohn Heinrich – er gilt als Christ – scheint diplomatischer, bzw. strategisch klüger zu sein. Es gelingt ihm die Herrschaft über die abodritischen Wenden zu behalten und mit Hilfe des sächsischen Bischofs Vizelin eine erneute Phase der religiösen Umorientierung einzuleiten. Doch selbst die volle Unterstützung durch Kaiser Lothar reicht nicht aus, die Gegend dauerhaft zu befrieden. Und so kommt es nach Lothars Tod erneut zu Brandschatzungen und Verwüstungen. Erst Heinrich dem Löwen gelingt es nach fast vierhundert Jahren intensiver Missionsbestrebungen die Abodriten endgültig zu unterwerfen und die nordelbischen Gebiete für die Kirche zu sichern.

In diesem Zusammenhang stehen der Wendenkreuzzug von 1147 und die Feldzüge von 1158, 1163/64 und 1168. Erst 1170 gilt die Kirchenverfassung als endgültig gesichert und Arnold v. Lübeck leitet seine Chronik mit den Worten, " Als der Frieden im Slavenlande endgültig befestigt war", ein.

 

2. Das Bistum und die Stadt Lübeck unter Heinrich dem Löwen

Wie bereits erwähnt gilt Heinrich nicht als Mann der Kirche, so stiftet er keine Klöster, erwirbt keine Reliquien oder fällt durch besonderen missionarischen Eifer auf. Und wenn auch seine individual-psychologische Disposition in der Literatur weitgehend im Dunkeln bleibt, zeigt ein Blick auf die Kirchenpolitik die eigentlichen Intention des Löwen. Die Besetzung des Lübecker Bischofsstuhls und die Neugründung der Stadt sollen daher im folgenden exemplarisch die politische Vorgehensweise beleuchten.

 

2.1 Gerold, ein Bischof von Heinrichs Gnaden

Das Recht auf die Investitur ist der zentrale Streitpunkt zwischen dem Erzbischof von Bremen, Hartwig v. Bremen und dem Herzog. Als der Erzbischof den Priester Vizelin zum Bischof weiht, verlangt der sächsische Herzog den Bischofsstab zu übergeben. Hartwig will aber nur den Kaiser anerkennen und es entbrennt ein heftiger Streit, den Heinrich zu seinen Gunsten entscheiden kann. Gegen den Widerstand Hartwigs gelingt es ihm die 1066 verwaisten Bistümer mit ihm ergebenen Gefolgsleuten neu zu besetzen.

Nach Vizelins Tod wird der Braunschweiger Hofkaplan und Notar Gerold von der Herzogin Clementia in das Amt des Bischofs gerufen. Nachdem Hartwig sich weigert den Bischof zu konsekrieren, folgt dieser seinem Herrn nach Rom und wird dort von Papst Hadrian VI. persönlich geweiht. Schließlich triumphiert der Herzog vollends über den Erzbischof, als ihm auf dem Goslarer Hoftag im Mai/Juni 1154 von Barbarossa das Recht auf die Investitur in den transelbischen Gebieten zugesprochen wird. Durch dieses Privileg erlangt Heinrich die vollkommene Kontrolle über die personelle Besetzung der Kirchenspitze. Die Möglichkeiten und Vorteile die sich aus dieser, für das Reich einzigartigen Kirchenhoheit, ergeben sind offensichtlich: eine Opposition, eine Gegenmacht auf dem eigenen Territorium kann sich – zumindest von kirchlicher Seite aus – nicht formieren. Denn es darf nicht übersehen werden, daß die meisten Kirchenfürsten nicht primär theologischen Studien betrieben, sondern mit durchaus weltlichen Methoden ihren Macht- und Eigentumsinteressen nachgingen und dazu auch das Schwert in die Hand nahmen. So verlangt denn der Sachsenherzog von seinen Bischöfen auch den Treueeid und verpflichtet sie damit zu Hof- und Heerfahrt.

Bischof Gerold nimmt seine Residenz östlich des Domes in der Bischofskurie, behält aber seine Höfe in Bosau und Eutin, wobei Eutin schon bald zu der eigentlichen Residenzstadt der Lübecker Bischöfe werden sollte.

 

2.2 Das Bistum Lübeck

Laut Helmold von Bosau ergreift Bischof Gerold die Initiative zur Etablierung des Bischofssitzes in Lübeck. Nominell stand der Bischofsstuhl noch in Oldenburg, doch das kanonische Recht, auf das Gerold Bezug nahm, sah vor, daß Bistümer möglichst in gut bevölkerten Orten errichtet werden sollten. Oldenburg war hingegen unbedeutend und abseitig gelegen. Lübeck versprach dagegen durch die ansässigen Händler und Fernkaufleute ein aufstrebender, ökonomisch interessanter Ort zu werden. Nach Hauschild kann aber strenggenommen von einer Verlegung nicht die Rede sein, " …weil in Oldenburg unter Vizelin und Gerold gar keine Bischofsresidenz (auch kein Domkapitel !) existierte."

1160 gilt als das Gründungsjahr des Bistums Lübeck und der herzogliche Kaplan Gerold wird der erste Bischof der Stadt. Die Gründungsurkunde – wenn sie denn ausgestellt wurde – ist nicht mehr erhalten. Doch zeigt ein Vergleich mit der Ratzeburger Gründung welche Ausstattung und rechtliche Stellung einem neuen Bistum zukam. Helmold berichtet, daß der Landesgraf Heinrich dem neuen Bischof Evermond eine Insel als Wohnsitz gab und dem Bistum 300 Hufe Land als Ausstattung gegeben wurden. Die Zehnterträge standen dem Bischof voll zur Verfügung, in den übrigen Gebieten wurden die Einnahmen zwischen Lehnsmann und Bischof geteilt. Der Landesherr für Lübeck, Graf Adolf II. v. Schauenburg, Graf von Holstein, Stormarn und Wagrien folgte daraufhin dem Polabengrafen Heinrich und gab von seinem Lehen ebenfalls 300 Hufe ab.

Die Größe einer Hufe läßt sich nicht in Quadratmetern angeben, denn die einzelnen Hufe werden nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bemessen. Der Wert des Landes hängt nicht allein von seiner Größe ab, vielmehr stehen die Kriterien der Lage, der Möglichkeit der Bearbeitung und Nutzung, die Güte des Bodens, kurz der agrar-ökonomische Wert im Vordergrund. Als Hufe kann aber auch seit der Karolingerzeit der Hof eines Vollbauern angenommen werden. Für das Ratzeburger Bistum gibt es eine Schätzung, die eine Größe von 5000 Hektar annimmt und die sich –natürlich mit Vorbehalt– auf Lübeck übertragen ließe. Wenn auch die Größe des Territoriums nicht genau zu ermitteln ist, so wissen wir heute, daß etwa 26 Dörfer dem Bistum Lübeck zugesprochen wurden.

 

2.3 Die frühesten Urkunden im Bistum Lübeck

Die Gründung und Ausstattung eines Bistums wurde durch Urkunden, die meist von den Empfängern ausgestellt wurden, bestätigt. Für die Gründungszeit Lübecks sind noch fünf Urkunden Heinrichs erhalten, von denen vier als echt gelten. In dem ersten Stück, das vermutlich zur Domweihe 1163 ausgestellt wurde, bestätigt Heinrich, daß Bischof Gerold dem Propst alle Zehnten in der Stadt verliehen hat, und er selbst ein Grundstück an der Ostseite des Münsters geschenkt habe. Im Juli 1164 bestätigt Heinrich gemeinsam mit Gerold den Kanonikern die Zehnt- und Besitzrechte innerhalb der Diözese. Diese Privilegien werden durch Urkunden des Erzbischofs Hartwig von Hamburg und Gerolds Nachfolger Bischof Konrad noch einmal konfirmiert. Im Jahre 1170 bestätigt Heinrich den wendischen Bistümern die Befreiung von Abgaben und Herzogszins, ferner wird die Verteilung der Gerichtsbußen, die Leistungen der Hintersassen sowie die Höhe des Slavenzehnts festgelegt. 1175 schließlich schenkt Heinrich der von ihm gegründeten Kapelle Besitzungen und Zehnte und gestattet es seinen Lehnsträgern Grund und Boden an die Kapelle abzutreten.Allen Urkunden ist gemeinsam, daß sie primär Eigentumsverhältnisse klären. Land wird zugewiesen, die Höhe der festen Einkünfte werden geregelt und die Rechtsansprüche einzelner Gruppen werden festgeschrieben, iimmer in der Hoffnung, daß die zugesicherten Privilegien auf lange Sicht eingehalten würden.

Durch seine militärischen Überlegenheit war Heinrich in der Lage die Organisation der transelbischen Bistümer nach seinen Vorstellung zu realisieren und damit seine territorialen Ansprüche durchzusetzten. Denn es darf nicht übersehen werden, daß die mittelalterliche Rechtsordnung Gewalt als legitimes Mittel ansah. So sagt z.B. v. Brandt: "Es wurde als unvermeidbar hingenommen, daß das »Faustrecht« einen erheblichen Anteil an der Ordnung der tatsächlichen Machtverhätnisse nahm." Damit relativiert sich die Bedeutung der Urkunden für die Zeitgenossen. Neue Rechtsverhältnisse werden nicht geschaffen, sondern die bereits eingeführte Ordnung, wie zum Beispiel die Aufteilung des Grund und Bodens wird im nachhinein legitimiert. Und gerade Herzog Heinrich der Löwe kann als ein Machtmensch gelten, dessen wichtigstes Argument der Einsatz des Schwertes gewesen ist. So heißt es denn auch in der Arenga der Dotationsurkunde für das Domkapitel zu Lübeck, daß ihn die göttliche Milde so über die Menge der Slaven triumphieren haben lasse, daß er, den Gehorsam der Demütigen durch Taufe zum Leben, den Widerstand der Halsstarrigen durch Blutvergießen zum Tode wendend, in ihren Ländern die Vorsteher dreier Bistümer, die Diener von Kirchenämtern, die Einkünfte von Präbenden, die Hilfsmittel für Kirchenbauten und die Burgherren einzelner Orte durch das Chirograph seines Schwertes […galdii nostri cyrographo corroboravimus.] befestigt habe.

Auch wenn das Chirograph eine Form der Bestätigung war, bei der die Urkunde zerschnitten wurde, scheint mir der Hinweis auf das Schwert an dieser Stelle eine Metapher für die kriegerische Grundeinstellung des Herzogs zu sein.

 

2.3.1 Eine Fälschung

Die zweite Urkunde vom 12.Juli 1164 gilt als Fälschung. Eindrucksvoll wird von Jordan, der sich auf Hasenritter bezieht, nachgewiesen wie die Fälschung erkannt und ihre zeitliche Ansetzung ermittelt wird.

Die Urkunde besagt, daß die Domherren durch Heinrich den Löwen von allen Abgaben an die Bürgerschaft befreit werden. Nach unserem heutigen Rechtsverständnis ist die Fälschung einer derartigen Urkunde ein schweres kriminelles Delikt, aber das Verhältnis der Menschen zu Wahrheit und Lüge war im Mittelalter ein anderes, als wir es heute gewöhnt sind. So sieht es zumindest Ahasver v. Brandt, der weiter ausführt:

"Der Begriff der Wahrheit ist kein absoluter, er ist relativ und subjektiv gefärbt, auch von religiösen und sozialen Rangordnungen abhängig. Die Massenhaftigkeit gerade der kirchlichen Fälschungen erklärt sich hiermit: zugunsten eines religiösen Zweckes erscheint es zulässig, die subjektive Wahrheitsüberzeugung auch durch eine pia fraus, also eine »Fälschung«, zu befestigen.

Da die Welt im Sinne der Civitas dei unvollkommen sei, ist es nicht nur legitim, sondern geradezu die Pflicht der kichlichen Administration diese Fehler zu bereinigen.

In diesem Fall greift die Urkunde in einen weitreichenden Konflikt zwischen geistlichen und weltlichen Herren ein. Die ansässigen Kirchenherren waren nicht bereit Abgaben an die Städte zu zahlen und konnten sich dabei auf das 3.Lateran-Konzil von 1179 berufen. Die Städte widersprachen diesem Ansinnen und verboten daraufhin den Verkauf von Immobilien an die Kirche. Im Lübeck dauerte diese Auseinandersetzung von 1227 bis 1256 und endete mit einem Sieg des Rates. Die Fälschung diente den Domherren in diesem Falle als Kampfmittel und Argumentationshilfe.

v. Brandt beschreibt noch einen anderen Aspekt für die Häufigkeit der kirchlichen Urkundenfälschungen, so sieht er die geistlichen Herren gegenüber "der im Weltlichen herrschenden Kriegerkaste unleugbar im Nachteil". Und somit sei es notwendig, daß die Träger der Bildung und der christlichen Gesittung sich "mit der ihr monopolistisch eigenen Waffe: der Feder" zur Wehr setzten.

Ich halte diesen Standpunkt für zu idealisierend, denn auch die Kirche wußte sehr wohl die eigenen Interessen mit Gewalt durchzusetzten. Doch gleichwohl ändert sich der Stellenwert des geschriebenen Wortes im Verlauf des Hohen Mittelalters entscheidend. Zu Heinrichs Zeit galt noch das vom Herrscher, bzw. das von einer durch ihre soziale Stellung autorisierten Person gegebene Wort als die höchste Instanz. Recht wurde gesprochen nicht geschrieben. Die langen Zeugenlisten unter jeder Urkunde sind dafür ein eindeutiger Beleg und auch die Tatsache, daß viele Herrn des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren, macht die eher zwiespältige Haltung zum Schrifttum verständlich. Rechtssymbolische Handlungen hingegen, wie zum Beispiel die Übergabe einer Fahne, eine Schwurgebärde, ein Handschlag und die Verleihung eines Ringes waren für jeden Betrachter nachvollziehbar und konnten durch die immer zahlreich vorhandenen Zeugen weiter verbreitet werden.

 

2.4 Das Domkapitel zu Lübeck

Zur Domweihe 1163 wird auch die Ausstattung und Rechtsstellung des Domkapitels geregelt. Die Ausstattung eines Kapitels bestimmt wesentlich die Wirkung und Einflußnahme desselben, doch gibt es auch feste Aufgaben, die von einem Kapitel erfüllt werden müssen. So haben die Kanoniker für den Gottesdienst in der Bischofskirche und für die Seelsorge der Gläubigen Sorge zu tragen. Außerdem übernehmen sie die Verwaltung der Kirchspiele und sind für die theologische Bildung und den Unterricht zuständig. Vier feste Ämter (Prälaturen) sind für diese Zeit nachzuweisen: das des Propstes, als obersten Domherren, das des Dekans, der die Aufsicht über den Gottesdienst und den Lebenswandel der Kanoniker innehat, sowie das des Kustos, der die Reliquien und gottesdienstlichen Geräte verwahrt und des Scholasticus, der für den Unterricht zuständig ist.

Die Aufnahme in ein Domstift hängt im wesentlichen von der Wahl bzw. von dem Konsens innerhalb des Kapitels ab. So werden neue Mitglieder gewissermaßen durch Kooptation bestimmt und selbst päpstliche Eingriffe ändern an dieser Tatsache wenig. So zeigt Adolf Friederici in einer umfangreichen Untersuchung über die ständische Struktur des Lübecker Domkapitels den Einfluß lokaler Kräfte auf die Verteilung der Präbenden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Urkunde aus dem Jahre 1185, in der Papst Lucius III. verordnet, daß im Bistum Lübeck niemand zum Kirchherrn gemacht werden soll, der nicht persönlich in seinem Kirchspiel das Priesteramt wahrnimmt.

Die 12 Domherren und der Propst werden mit jeweils einer gestifteten Präbende ausgestattet, die zunächst gleich groß sind. Die Stiftungen kommen vom Herzog, er stiftet Grundstücke für Domherrenwohnungen, Anteile am Elbzoll, sowie drei Dörfer und einige Hufen Land, dem Grafen Adolf, der drei Dörfer "verschenkt" und dem Bischof, der Anteile an den Zehntrechten der Diözese überträgt und später noch ein Dorf zum dem Stiftsvermögen hinzufügt. Hauschildt weist ausdrücklich darauf hin, daß dies im Vergleich zu den Domkapiteln des Reiches keine üppige Ausstattung gewesen sei und damit die Arbeitsmöglichkeiten der Domherren von Beginn an nur sehr begrenzt waren.

Kapitel und Dombezirk sind rechtlich und geographisch streng von dem übrigen Stadtgebiet getrennt und bilden einen Raum eigenen Rechts. Domhof mit Kirche, Kloster, Friedhof und Kurie genießen Immunität (Domfreiheit) und sind der Stadt juristisch nicht unterstellt. Der Rat ist somit nicht in der Lage Amtshandlungen im Dombezirk vornehmen zu lassen. Die Stadt ihrerseits untersteht zwar dem Kapitel und hat damit einen Sonderstatus innerhalb des Bistums, aber im Gegensatz zum alten Reichsgebiet sind die Domherren und der Bischof weder die Herren der Stadt, noch partizipierten sie an der Grundherrschaft.

Gleichwohl obliegen dem Domkapitel wichtige Funktionen für das religiöse Leben und es steht auch in einer Mittlerfunktion zwischen Bischof und Stadt. Kirchenpolitisch ist vor allem der Einfluß auf die Bischofswahlen hervorzuheben, denn zumindest theoretisch sah das kanonische Recht vor, daß der Klerus den Bischof wählte, aber Heinrich der Löwe war natürlich nicht Willens, das gerade erkämpfte Recht auf die Investitur wieder in Frage stellen zu lassen.

 

3. Die Stadt Lübeck

Parallel zur Bistumsgründung verläuft die Neugründung der Stadt und wieder ist es Helmold, der einen genauen Bericht der Gründung Lübecks und der Besiedlung Wagriens liefert. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, wie vor 850 Jahren damit begonnen wurde, planmäßig einen Landstrich zu besiedeln, eine Stadt zu gründen und durch einen zeitgenössischen Chronisten in der Lage zu sein, diese Aktivitäten direkt aus der Quelle nachzuvollziehen. Und wenn auch der Chronist dazu neigt seinen Herren in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen, wird doch der Wahrheitsgehalt der Aussagen Helmolds durch die moderne Forschung weitgehend bestätigt.

 

3.1 Eine Stadt wird gegründet

Graf Adolf II. von Schauenburg, Graf von Holstein und Stormarn und Wagrien beginnt 1143 sehr energisch mit der Besiedlung seines neuen Landesteils. Zuerst läßt er die Burg von Segeberg neu errichten und mit einer Mauer umgeben, dann beginnt er das verlassene Land systematisch mit neuen Siedlern zu besetzten. So schreibt Helmold:

Da das Land verlassen war, schickte er Boten in alle Lande, nämlich nach Flandern und Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland, daß jeder, der zu wenig Land hätte, mit seiner Familie kommen sollte, um die schönsten, geräumigsten, fruchtbarsten, an Fisch und Fleisch überreichen Acker nebst günstigen Weidegründen zu erhalten. … Daraufhin brach eine zahllose Menge aus verschiedenen Stämmen auf, nahm Familien und Habe mit und kam zu Graf Adolf nach Wagrien, um das versprochene Land in Besitz zu nehmen.

Nach Stämmen getrennt wurden nun die Siedler im neuen Herrschaftsgebiet des Grafen angesiedelt und als auch die verbliebenen Slawen ihre Zinspflicht anerkannt hatten, begann der Landesherr mit dem planmäßigen Aufbau einer Stadt, so zumindest Helmold, der im gleichen Kapitel weiter ausführt:

Danach kam Graf Adolf an einen Ort namens Bukow und fand dort den Wall einer verlassenen Burg, die Kruto, der Feind Gottes, erbaut hatte, und eine sehr große, von zwei Flüssen umrahmte (Halb)insel. An der einen Seite floß die Trave, an der anderen die Wakenitz vorbei, beide mit sumpfigem, unwegsamem Ufer. Dort aber, wo sie landfest ist, liegt ein ziemlich schmaler Hügel, der dem Burgwall vorgelagert ist. Da nun der umsichtige Mann sah, wie passend die Lage und wie trefflich der Hafen war, begann er dort eine Stadt zu bauen und nannte sie Lübeck, weil sie von dem alten Hafen und Hauptort, den einst Fürst Heinrich angelegt hatte nicht weit entfernt war.

 

Der Name Lübeck, der auf ein untergangenes wendisches Fürstengeschlecht zurückzuführen ist und auch schon die Bezeichnung für den alten Handelsort der Slawen war, wurde von Graf Adolf in der Absicht übernommen, um, so sieht es zumindest R.Hammel, die Tradition von Alt-Lübeck fortzuführen und eine Kontinuität zu dem damals schon recht bedeutenden Handelsort der Wenden sichtbar zu machen.

Wenn Heinrich der Löwe in einer um 1225 verfälschten Barbarossa-Urkunde vom Lübecker Rat als der primus loci fundator bezeichnet wird, so wird dies heute auf die ungeliebte Stadtherrschaft des Grafen zurückgeführt. Unstrittig ist allerdings die Tatsache, daß Lübecks späterer Aufstieg zur "Perle der Hanse" im unmittelbaren Zusammenhang zu Heinrichs nordelbischer Städtepolitik steht. Es war der Herzog, der der Stadt die nötigen Rechte verlieh und die Fernhändler mit allen Vollmachten ausstattete. Auf die Auseinandersetzung zwischen Heinrich dem Löwen und Graf Adolf II. werde ich nicht weiter eingehen, nur soviel, daß auch hier die Machtpolitik des Herzogs obsiegte und der Graf 1159 endgültig alle Grundrechte an der Stadt abtrat. Helmold berichtet weiter:

Der Herzog aber sandte Boten in die Hauptorte und Reiche des Nordens, Dänemark, Schweden, Norwegen und Rußland, und bot ihnen Frieden, daß sie Zugang zu freiem Handel in seine Stadt Lübeck hätten. Er verbriefte dort auch eine Münze, einen Zoll und höchst ansehnliche Stadtfreiheiten. Von der Zeit an gedieh das Leben in der Stadt, und die Zahl ihrer Einwohner vervielfachte sich.

 

3.1.2 Zur Topographie der Stadt

Der Lübecker Stadthügel war bereits zuvor schon einmal besiedelt und zwar von Slawen, die die Burgwallanlage im Norden der Halbinsel aufgebaut hatten. Denn wie auch Graf Adolf beim ersten Umritt in seinem neuen Herrschaftsgebiet die strategisch überaus günstige Lage des Werders erkannte, hatten auch die vormaligen Bewohner mit Sicherheit diesen Umstand zu schätzen gewußt.

Die beiden Flüsse und die sumpfige Uferlandschaft, die den Werder umgaben, bildeten einen guten Schutz vor potentiellen Eroberern. Sie wurden frühzeitig gesehen und so war es für größere Gruppen sehr schwierig auf diesem Wege in die Stadt zu gelangen. Der einzige Landzugang im Norden der Halbinsel konnte hingegen mit Hilfe der Burgwallanlage effektiv gesichert und verteidigt werden. Neben den militärischen Vorteilen der naturräumlichen Gegebenheiten kam durch die Schiffbarkeit der Trave noch die, für den Handel überaus wichtige Verbindung zur Ostsee hinzu und auch die Anlage eines sturmsicheren Hafens am Traveufer schien kein großes Problem darzustellen.

 

3.2 Der Handel in Alt- und Neu-Lübeck

Mehrfach habe ich auf die Bedeutung der merkantilen Aktivitäten bereits der ersten Einwohnergeneration Lübecks hingewiesen. Es waren vor allem die Fernkaufleute, die durch den regen Ost- und später auch Nordseehandel die Stadt zu einer ungewöhnlichen Dynamik verhalfen.

Während spätestens zu Beginn des 14.Jh. mit Waren aller Art gehandelt wurde, sind es zu Beginn hauptsächliche Heringe, die vor den Küsten Rügens und Schonens gefangen und mit Salz aus den Lüneburger Salinen haltbar gemacht werden. Aus Rußland kommen Felle in die Stadt und im Austausch dazu werden Getreide und Grundnahrungsmittel exportiert. Die Anbindung an das übrige Reichsgebiet ist durch Fernwege, die über Hamburg und Bremen nach Süden führten gegeben. Trotzdem muß aber für das 12.Jh. noch von zwei völlig voneinander geschiedenen Wirtschaftsräumen ausgegangen werden.

Die Bedingungen unter denen dieser Handel stattfindet sind außerordentlich hart. Die klimatischen Verhältnisse im nördlichsten Reichsgebiet und auf der Ostsee entsprechen den heutigen und so bedarf es wenig Phantasie zu ermessen, mit welch widrigen Umständen die Menschen oft zu kämpfen hatten.

Für die Gründungszeit ist die Handelsform des Ufermarktes nachgewiesen. Die Fernkaufleute zelteten (!) auf den schmalen Uferstreifen, reparierten die Schiffe und verkauften von dort ihre Waren. Das Essen wurde an offenen Feuerstellen zubereitet und auch die freie Zeit wurde auf den Ufermärkten verbracht. Zahlreiche Funde von Murmeln, Spielsteinen aus Knochen und Holz, Kegelkugeln, Knochenflöten oder auch Holzkreiseln sind dafür ein beredtes Zeugnis.

Sobald alle Waren losgeschlagen waren und das Wetter es zuließ, verließen sie den sicheren Hafen, fuhren über die oftmals kalte und stürmische Ostsee nach Skandinavien oder Rußland und waren neben der Gefahr Schiffbruch zu erleiden, noch ständig dem Risiko eines Piratenüberfalls ausgesetzt.

Die seßhaften Kaufleute wohnten in kleinen Holzhäusern (Pfostenbauten) in einem eigenen Viertel in der Umgebung der St.Marienkirche. Für den Hafenmarkt lassen sich feste Bauten erst nach 1184 nachweisen. Die ortsfesten Kaufleute waren es auch, die den zentralen Markt der Stadt – dieser liegt noch heute an der gleichen Stelle –beschickten.

Im Gefolge der Händler siedelten sich auch Handwerker in der Stadt an. Zu Beginn waren es hauptsächlich Bauhandwerker und Lebensmittelproduzenten, aber schon bald entwickelte sich ein vielfältiges Handwerksleben, daß durch die hervorragende Anbindung an die überseeischen Märkte und durch die erschlossenen Fernhandelswege mit dem übrigen Reichsgebiet verbunden war. Eine Berufstopographie des 14.Jh. weist für das Stadtgebiet hochspezialisierte Handwerker aus, die mit Sicherheit nicht allein von der Stadt leben konnten. So gibt es eine voll entwickelte exportfähige Fell- und Tuchindustrie, Metallverarbeitung inklusive Waffenproduktion, Gold- und Silberschmiede sowie Bildschnitzer und Bernsteindreher. In der sozialen Rangordnung stehen sie aber immer unter der Kaufleuten.

Handel, Markt und Hafen sind die für Lübeck prägenden Elemente. Diese waren bereits in slawischen Zeiten den Seefahrern und Kaufleuten der Ostsee bekannt und erfuhren unter Heinrich dem Löwen den entscheidenden Impuls zu dem ungeahnten Aufstieg der Stadt.

 

3.3 Lübeck 1226

Wäre die Geschichte der Rolle Lübecks in der Hanse das Thema der Arbeit, müßte dieses Kapitel besonders ausführlich ausfallen. Obwohl bereits Barbarossa 1188 wirtschaftliche Vorrechte und Freiheiten verleiht, gibt es wahrscheinlich kein Privileg, das so folgenreich für die Entwicklung der Stadt, bzw. der Expansion des Geschäftslebens war, wie das 1226 im Borgo San Donnino von Kaiser Friedrich II. ausgestellte Freiheitsprivileg. Für die Lübecker begann damit die politische Selbständigkeit, die nach Auffassung der Hanseaten bis zur Eingliederung in die preußische Provinz Schleswig-Holstein im Jahre 1937 (!) nicht nur formal, sondern auch faktisch bestand.

Damit ist auch schon der wichtigste Passus der Urkunde angesprochen, so heißt es denn gleich zu Beginn der Dispositio, daß die Stadt Lübeck für alle Zeiten frei sein solle und unmittelbar zum Reich gehöre:

…, ut predicta Civitas Lubicensis libera semper sit, videlicet specialis Civitas et locus Imperii et ad dominum Imperiale specialiter pertinens, nullo umquam tempore ab ipso speciali dominio separanda; …

Neben dieser Bestimmung zur Rechtslage der Stadt finden sich noch weitere, für die Kaufleute bedeutende Privilegien. So garantiert der Kaiser freies Geleit für fremde Händler, gibt Steuerfreiheit für England und das gesamte Herzogtum Sachsen und befiehlt, daß alle Waren des Umlandes frei eingeführt werden dürfen. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist das verbriefte Münzrecht der Stadt relevant und geradezu modern mutet die Standortsicherung der Lübecker an, wenn gesagt wird, daß niemand am Lauf der Trave – von der Quelle bis zum Meer gilt eine zwei Meilen breite Verbotszone – eine Burg errichten dürfe. Auch personelle Entscheidungen werden langfristig gesteuert, indem untersagt wird, daß ein fremder Vogt oder ein auswärtiger Rector als Vertreter des Reiches die Geschicke der Stadt bestimmen. Bemerkenswert ist noch der Passus, der den Verzicht auf Geiseln vorsieht, da dem Treueid der Lübecker gegen das Reich Glauben beigemessen werde.

Der Bischof oder andere kirchliche Vertreter werden in der Urkunde überhaupt nicht erwähnt. Wenn das Privileg von "den Lübeckern" spricht, so sind damit die Vertreter der Kaufleute gemeint sein, die bereits 1201 in einem Rat der Stadt organisiert waren.

Natürlich bedeutet die Austellung einer Urkunde nicht automatisch, daß die darin verbrieften Rechte auch in die Realität umgesetzt werden. Und es ist auch immer fraglich, ob der Rechtsnachfolger Willens ist oder die Macht hat, die Privilegien aufrecht zu erhalten. Für Lübeck läßt sich sagen, daß der Grundgedanke der unabhängigen Stadt – die Reichsfreiheit und die Stadtherrschaft weltlicher Prägung – die Stadtgeschichte durchgängig begleitet. Obwohl es natürlich auch in Lübeck im Verlauf des 13.Jh. zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen weltlichen und geistlichen Herren kommt.

 

4. Abschließende Gedanken zur Lübecker Geschichte und ihrer Geschichtsschreibung

Für das frühe Lübeck lassen sich vier gesellschaftliche relevante Gruppierungen ausmachen. Die Vögte als Vertreter des jeweiligen Stadtherrn, die Domherren, mit der Aufgabe das Kirchenleben zu organisieren, der Bischof als höchster kirchlicher Würdenträger und Sachwalter der päpstlichen Politik und schließlich die Kaufleute, die mit Hilfe des Rates ihre Interessen vertreten.

Die Vertreter des Reiches, ob Herzog oder Kaiser, erwarteten von der Stadt, daß als Gegenleistung für die verliehenen Privilegien die Abgaben regelmäßig geleistet wurden. Solange dies gewährleistet war, war das Interesse an den innerstädtischen Angelegenheiten relativ gering. Durch die geographische Lage begünstigt, lag die Stadt nicht auf den Reiserouten der Herrscher und hatte für das Reich militärisch nur sehr bedingten strategischen Wert. Die Kriege, die Lübeck im Laufe seiner Geschichte führte, richteten sich vornehmlich nach Norden, speziell gegen den Versuch der dänischen Könige die Stadt unter ihre Herrschaft zu bekommen.

Als Ort religiöser Erbauung oder als theologisches Zentrum tritt Lübeck nicht hervor. Es kann nicht auf die Tradition der alten Bischofsstädte wie Köln oder Mainz verweisen, keine außergewöhnlichen Reliquien zogen Pilger in die Stadt und es gab keine überregional bedeutenden Schulen oder gar Universitäten.

 

Während der Lektüre ist mir immer wieder der Stolz der Lübecker auf ihre Stadt und deren freie und unabhängige Entwicklung aufgefallen. Es wird hervorgehoben, daß man nicht zu Schleswig-Holstein gehöre und auch schon deshalb eine "eigene" Geschichtsschreibung betreiben müsse. Selbständigkeit, Selbstbehauptungswillen der Stadt, Unabhängigkeit und Freiheitswillen der Bürger sind Schlüsselbegriffe, die sich in allen Schriften nachweisen lassen Die Geschichte der Hanse, als historisch bedeutendste Leistung, steht im Mittelpunkt. Die Bischöfe, die Kirche wird als störend, als hinderlich empfunden und dargestellt. Diese mehr emotionale Bewertung müßte natürlich noch belegt werden, doch glaube ich, daß es eine Abwehrhaltung gegenüber dem Katholizismus gibt. Es war der Protestantismus mit seinem Arbeitsethos und seinen Moralvorstellungen, der die bürgerlichen Kaufleute in ihrer Lebensführung bestätigte und leitete, und ich glaube, daß sich diese Einstellung in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung der Stadt wiederfindet.

 

 

Zur Literatur

Die Literatur zu Lübeck ist reichhaltig und hat eine lange Tradition. Einen umfassenden Überblick liefern die Bibliographien von Antjekathrin Graßmann. Graßmann ist auch Archivdirektorin der Stadt, das bis 1937 die Bezeichnung Staatsarchiv Lübeck trug, nach der Eingliederung Lübecks in Preußen in Archiv der Hansestadt Lübeck umbenannt wurde. Als Herausgeberin einer umfangreichen Gesamtdarstellung der Stadtgeschichte und Autorin zahlreicher Monographien und bietet Graßmann wertvolle Hinweise für den Einstieg in jede wissenschaftliche Beschäftigung mit der Stadt.

 

Quellen:

Urkundenbuch des Bisthums Lübeck, Erster Theil, Hg. Dr.Wilhelm Leverkus, Oldenburg 1856. Gearbeitet wurde mit einem Nachdruck, erschienen als Band 35 der Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs, Neumünster 1994.

Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Bearbeitet von Karl Jordan, Weimar 1949.

Helmold von Bosau: Slavenchronik, Neu übertragen und erläutert von Heinz Stoob, Darmstadt 1973.

 

Zur Geschichte Lübecks:

Adolf Friederici: Das Lübecker Domkapitel im Mittelalter 1160-1400, Neumünster 1988.

Antjekathrin Graßmann: Lübeckische Geschichte, Lübeck 1989.

Wolf-Dieter Hauschildt: Kirchengeschichte Lübecks, Lübeck 1981.

Karl Jordan: Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen, Leipzig 1939.

Lübeck 1226, Hg.: Ahlers, Graßmann, Neugebauer und Schadendorf, Lübeck 1976.

Heinrich der Löwe und seine Zeit, Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, Hg.: J.Luckhardt und F.Niehoff, München 1995.

 

Weitere Literatur:

Lexikon des Mittelalters.

Wörterbuch zur Geschichte, Hg. Erich Bayer, Stuttgart 1974.

Ahasvar von Brandt, Werkzeug des Historikers, Stuttgart-Berlin-Köln 1989.

Horst Fuhrmann, Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter, Göttingen 1983.