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1 Einleitung
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1.1 Weshalb überhaupt Sozialforschung? |
Es gibt viele Gründe, warum Forschung betrieben wird. Der ursprünglichste ist wohl die Neugierde, doch hat sich die Wissenschaft auch für vieles andere Streben als hilfreich erwiesen, wie z.B vorteilsorientierte Neigungen, aber auch das notgetriebene oder solidarisierende Handeln. Die Verwendung wissenschaftlicher Argumentationsweise hat zu massiven Veränderungen des Weltbildes über die Menschengeschichte hinweg geführt. So dienten "wissenschaftlich fundamentierte" Vorstellungen dem Sturz von religiöser Herrschaft, der Verfolgung von Rassen, dem Rüstungswahn etc. Die Wirtschaft bedient sich ihrer, um der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein, und die politische Opposition sucht nach Wegen, den Entwicklungen entgegenzuwirken, Schäden zu beseitigen und eine "heile Welt" nach ihrer Ansicht zu errichten.
Bei all jenem zeigt sich die Forschung nicht als Antrieb, sondern stets der Mensch selbst, getrieben vom eigenen Selbst und seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt, seinem sogenannten Lebensraum. Der für den Menschen erfahrbare Lebensraum, und für ihn somit entscheidende, wird seine Lebenswelt genannt. Der Begriff Lebenswelt geht ursprünglich auf den phänomenologischen Ansatz von Husserl zurück. Er sieht darin die nicht weiter hinterfragbare Evidenz für den Menschen in der Welt. Sie ist also das begreifbare und erlebbare in unserem Umfeld, dem Raum, in dem wir uns aufhalten und in dem wir unsere Eindrücke und Erkenntnisse sammeln. Ein dazu sehr interessantes Gesellschaftsmodell wurde von Pierre Bourdieu entwickelt. Ein Abriß seines Modells finden Sie im Aufsatz zum Habitus.
Wie sich nun der Mensch in seiner Lebenswelt zurechtfindet, und welche Auswirkungen dies wiederum auf seinen Lebensraum hat, jenes zu entschlüsseln haben sich seit Menschengedenken Denker und Wissenschaftler zur Aufgabe gesetzt. Ausgehend von sowohl physiologischen als auch philosophischen Ansätzen wird versucht, die Mechanismen herauszufiltern, welche dem Ganzen zugrunde liegen. Die Sozialforschung, als speziell auf das Zusammenleben von Menschen ausgerichteter Forschungszweig, wählt dabei den Weg der Differenzierung einer für soziale Beziehungen relevanten Fragestellung, zu der eine entsprechend geeignete Personengruppe ausgewählt wird, anhand derer, mit verschiedenen Techniken der Beobachtung, Erfragung und Bewertung, Erhebung und Analyse von Daten betrieben wird.
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1.2 Die Möglichkeiten innerhalb der Sozialforschung |
Um einer Fragestellung nachgehen zu können, wird sie thematisch-räumlich Eingeschränkt, damit die Untersuchung überschaubar und vor allem vergleichbar bleibt. Dies geschieht zum einen tatsächlich räumlich im Sinne einer physikalischen Bereichsbegrenzung, in der sich zur Frage spezifisches ereignet, und zum anderen inhaltlich, d.h. es werden nur gewisse, als relevant bewertete Komponenten in Betracht gezogen. Dies äußert sich z.B. folgendermaßen:
Die zu erörternde Frage lautet: "Wie erfolgt die Eingliederung eines ausländischen Kindes in eine Kindergartengruppe?"
Zu den Methoden der Sozialforschung sei vorweg zu sagen, daß sie keine Neuerfindungen sind, sondern bereits vorher in anderen Bereichen ihre Bedeutung hatten, so wie sie auch heute nicht nur von den Sozialwissenschaften verwendet werden. Der Unterschied liegt in der Besonderen Thematik: "Individuum in der Gesellschaft", welche sich bis Heute kaum unangefochten erforschen läßt, und somit zu speziellen Auslegungen der Methoden geführt hat.
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2 Quantitative Sozialforschung (Anriß) |
Das wahrscheinlich bekannteste und zudem umfangreichste Beispiel der quantitativen Sozialforschung ist die Volkszählung. Schon Joseph und Maria mußten sich dieser unterziehen, doch ist sie noch wesentlich früher in der Geschichte feststellbar. Der Zweck dieser Erhebung war allerdings ein rein politischer und diente somit nur im eingeschränkten Interesse der Sozialforschung. Heutzutage sind solche Umfragen mit zusätzlichen Fragen bestückt, welche auch Einblick in die soziale und ökonomische Lage des Befragten bieten. Daher auch das große Miswollen in der Bevölkerung. Quantitative Erhebung lohnt sich überall dort, wo Fragestellungen klar umrissen und Antworten auf konkrete Möglichkeiten beschränkt werden können. Ihr Vorteil liegt in der Anzahl der Personen, welche darüber erfaßt werden können und als Beweis für die Aussagekraft gelten sollen. Durch die konkret vorstrukturierte Erhebung lassen sich die Informationen schnell in einen Computer übertragen und per Software gegenüberstellen. Auf diese Weise werden z.B. Markt-, Media-, Motiv- und Meinungsforschung betrieben, bei denen ein großer Stichprobenraum zu Pro und Contra Stellung nehmen soll. Die letztendlichen Schwierigkeiten bei dieser Vorgehensweise sind allerdings die Aussagekraft der Fragen und Antworten und die Repräsentanz der Befragten. Sehr in Mode gekommen ist das Ankreuzverfahren. Man findet es in Zeitschriften, auf Formularen der Behörden, in Restaurants und an vielen anderen Orten. Die Fragen werden nach dem Prinzip der möglichst genauen Einrahmung und Führung der Thematik und der Abgrenzung auf die wichtigsten Standpunkte erstellt. Doch wer hat sich noch nicht irgendwie bei einer solchen Erhebung nicht verstanden gefühlt? Dieses Problem, das seit den 80ern auch unter den Sozialforschern selbst immer kritischer betrachtet wurde, hängt mit dem Phänomen der Individualität zusammen: Kann man auf eine derart vorstrukturierte Weise noch Wahrheit ermitteln, oder übergeht man wichtige persönliche Aspekte zugunsten der Handhabbarkeit, schafft man somit also eine allgemeine Aussage, welche sich in der Welt so nicht wiederfinden läßt? Wie steht es also mit der Lebensnähe und der Verwertbarkeit solcher Erhebungen?
Die Auswertung im Sinne von Statistiken ist sehr beliebt. Bunte Grafiken sind heutzutage gang und gebe in jeder renomierten Zeitschrift, im Fernsehen und ebenso in der Fachliteratur. Doch die Ermittlung der Daten ist oft nicht einsichtig, manches mal völlig schleierhaft. Ob man solchen Statistiken trauen darf, ist eine berechtigte Frage, denn ob jeder Statistiker genügend Verantwortungsbewustsein und Pflichtgefühl dabei aufbringt, Menschen mit meinungsfördernden Daten zu füttern, ist tatsächlich längst gegen diesen Fakt bewiesen. Oft ist das Interesse des Auftraggebers entscheidender. Man denke an die Werbung, bei der es stets darum geht, das Rennen zu machen. Informationen, welche dort verbreitet werden, müssen nicht einmal falsch sein, doch können sie im Kontext als einzig wichtig erscheinen gegenüber erheblich wichtigeren Informationen, welche bei der Erhebung oder der Auswertung unterschlagen wurden. Durch die Einprägsamkeit und den schnell verinnerlichten Status der Allgemeingültigkeit von Statistiken bekommen solche Fragen ein großes ethisches Gewicht, wie es durch Einzelinterviews nicht so einfach der Fall ist. Desweiteren bleibt das sich Stützen auf den Durchschnittswert ebenfalls oft eine Glaubenssache für den Informierten. Durchschnitt ist nicht gleich Durchschnitt, sondern manchmal nur das Mittel völlig extremer Aussagen. Und vieleicht haben Personen nur der Eile wegen, oder da sie die Fragen nicht richtig verstanden, sie keine passende Antwort fanden, ihnen die Antwort in den Mund gelegt wurde, also durch Einwirkung über den Fragebogen oder den Fragenden suggeriert wurde etc., einfach irgendetwas angegeben, das sie schon kurz darauf oder in einem anderen Zusammenhang nie gesagt haben wollten. Die Kritik kann beinahe endlos weitergeführt werden und wird dieses durchaus auch wehement, in der Bevölkerung, wie auch in der Forschung selbst. Das Spiel mit den Zahlen bleibt ein fragliches. Also wandte sich ein großer Teil der Sozialforscher in den 80ern einem anderen Erhebungsvorgehen zu.
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3.1 Die Entstehungsgeschichte |
Philipp Mayring, einer der Hauptvertreter im deutschen Raum, bezeichnet die Wende zur qualitativen Sozialforschung als eine tiefgreifende Veränderung der Sozialwissenschaften in diesem Jahrhundert. Diesen Prozeß weist er vor allem den Soziologen (Ch. Hopf & E. Weingarten 1979; S. Lamnek 1988, 1989; W. Spöhring 1989) und Erziehungswissenschaftlern (P. Zedler & H. Moser 1983; Th. Heinze 1987) zu. Sie beklagten sich über die Kategorisierung des Erhebungsobjektes und wollten die Personen wieder zu Wort kommen lassen. Das qualitative Denken in der Sozialforschung sei wieder gefragt.
Als Begründer des qualitativen Denkens wird gerne bereits Platons Schüler Aristoteles (384-322 v.Chr.) angeführt, welcher die Dinge in ihrem Entstehen und Werden nicht nur oberflächlich erfassen, sondern aufgrund ihrer historischen Entwicklung und ihres inneren Antriebes eindeutige Beweisführung betreiben wollte. Eine solche Haltung läßt sich allerdings schon in Sokrates, Platons Lehrer, entdecken. Und sicher gab es auch davor schon Denker, welche den Anspruch Aristoteles auf ihre Weise vertraten. Die Idee der qualitativen Forschung ist also nichts neues. Daß sie sich in Deutschland erst so spät wieder behaupten konnte läßt sich nur historisch erklären.
Aristoteles gilt als Vertreter einer Haltung, welche auf das Erfaßbare und durch Regelmäßigkeit als gesetzmäßig Feststellbare aus ist. Darin liegt der praktische Bezug für den Menschen, der, durch seine Subjektivität bedingt, solche Richtlinien benötigt, um sich in dem ihn umgebenden Chaos orientieren zu können. In diesem Punkte zieht Aristoteles im Grunde mit den Sophisten Protagoras und Gorgias gleich, deren Lehren er allerdings verurteilte. In seiner Haltung zeigt sich sowohl der Hang zur genaueren Untersuchung als auch zur Unterschlagung der Ausnahme zugunsten der Allgemeingültigkeit. Diese Allgemeingültigkeit ordnete er allerdings nur eingeschränkten Geltungsbereichen zu. Ihm lag schlußfolgernd eher eine Mischform der quantitativen und der qualitativen Forschung nahe. Wer sich in den Texten des antiken Griechenland nicht auskennt, sollte also besser eine Zuordnung Aristoteles zu einer der beiden Methoden vermeiden.
Das durch Galileo Galilei (1564-1642) neu vertretene Denken, daß sich alles auf allgemeine Naturgesetze reduzieren ließe, löste nach Ansicht einiger Sozialforscher Aristoteles Einfluß ab und blieb bis in das zwanzigste Jahrhundert erhalten. Auch bei Galilei muß vorsichtig gewaltet werden. Zunächst suchten schon die ionischen Naturphilosophen seit dem 8. Jhd. v.Chr. nach der Reduzierung allen Lebens auf den im Wasser enthaltenen Urstoff Hyle, aus dem sich alles kombiniert habe, und gründeten dabei bereits die Theorie von den Atomen, der Entstehung des Lebens im Wasser und der Allgemeingültigkeit von Naturgesetzen. Auch suchte Galilei in seinem Wissensdrang nicht hauptrangig nach einer Orientierung für den Menschen, sondern nach dem Geheimnis des Unbekannten. Er wollte also nicht ausschließlich Regelmäßiges für die Handhabbarkeit, sondern eine Möglichkeit der Beschreibung von Gegebenem. Dabei schloß er auch den Einzelfall nicht aus seiner Betrachtung aus, denn auch dieser folgt einem Gesetz. Daß er also nach allgemeinen Naturgesetzen suchte, bedeutet nicht gleich die Verallgemeinerung von Tatbeständen und somit einen Widerspruch zu Aristoteles, sondern schlicht einen anderen Ansatz. Auch hierbei sollte sich der Laie zunächst ein eigenes Bild von Galileis Gedankengut schaffen, bevor er sein Denken einer der beiden Varianten der Sozialforschung zuweist.
Über die letzten zwei Jahrhunderte hinweg gab es zunehmend eine größere Anzahl von Denkansätzen, welche sich alle vor der Öffentlichkeit vertreten ließen, doch setzte sich die quantitative Denkweise weiterhin durch. Das Interesse am Individuum war nicht genügend, wie die Entwicklung des deutschen Staates hinreichend belegt. Im 19. Jhd. herrschte die konservative Grundhaltung vor, welche dem Willen des Einzelnen nur wenig Raum lies. Der Versuch der Weimarer Republik, die Monarchie abzulösen, endete im Faschismus. In der Nachkriegszeit galt die politische und ökonomische Emanzipation als vorrangig. So war kein Platz für das qualitative Denken. Der Durchbruch kam erst nach dem radikalen Gesinnungswechsel in den 70ern.
Amerika spielte dabei wieder einmal den Vorreiter. Doch auch dort wurde erst in den 70ern die qualitative Sozialforschung nicht mehr niederwertig gegenüber der quantitativen Sozialforschung behandelt. Dies liegt zum einen an der materialistischen Grundhaltung des "American Way Of Life", wobei Leistungen grundsätzlich als meßbar gelten. Bereits in den ersten Schulwochen werden die Kinder Tests ausgesetzt. Die Test-Manie zieht sich fort bis in das Erwachsenenalter und verfolgt die Amerikaner bei Einstellungstests, Leistungskontrollen und so fort. Mehrere Millionen Tests jährlich werden von Amerika aus in aller Welt durchgeführt. Dabei war die Ausrichtung der amerikanischen Sozialforschung seit Anbeginn sehr breit gefächert. Bereits in den dreißigern führte Kurt Lewin, ein jüdischer Deutscher, der seine Theorien während der angespannten Vorkriegszeit an der Universität Berlin mit seinen StudentInnen entwickelte und später nach Amerika immigrierte, dort Gruppendiskussionen im Rahmen der Feldforschung durch, dessen Namen er aus der Physik entnahm. Seine Ansätze sind vielerlei kopiert und verfremdet und schließlich nach Deutschland zurück exportiert worden.
3.2 Das Vorgehen in Methodik und Schrittfolge
Das Vorgehen ist abhängig von der Zielsetzung und dem Erhebungsaum. Mayring unterscheidet fünf Verfahrensklassen:
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3.2.1 Das Forschungsdesign |
Sie wird vor allem dort verwendet, wo ein direkter Zugang nicht möglich ist, dient allerdings auch anderen Methoden zur Vorbereitung. Die Auswahl des Materials betrifft jegliches auffindbare Werk, welches der Aufklärung der Fragestellung dienen kann. Neben möglichst genauer Beantwortung der Frage gehört auch die Quellenkritik zur Aufgabe der Dokumentenanalyse. Sie kann ausschlaggebend für die Neufassung der eigenen Fragestellung aber auch für weitere Forschungen sein.
Sie steht im Mittelpunkt qualitativer Forschung, da sie den Menschen als Individuum direkt als Forschungsgrundlage begreift. Ziel ist es dennoch, typisches herauszufiltern, also nicht auf der Ebene einer Bibliographie zu walten, sondern vergleichbares zu erheben. Über die Möglichkeiten bei der Analyse wird noch berichtet.
Sie richtet sich daran aus, die zu beobachtenden Personen möglichst unbefangen in natürlicher Umgebung zu belassen und deren Verhalten und Äußerungen festzuhalten. Sie ist also weniger als die Einzelfallanalyse an der Meinung des Individuums, als an der Beschreibung, Deutung und Allgemeingültigkeit seiner Eigenart interessiert. Dafür eignet sich am ehesten die teilnehmende Beobachtung, doch auch andere Methoden sind denkbar.
Diese Methodik ist nur schwer durchzuführen. Sie dient dem Erarbeiten neuer Vorgehensweisen bei einer Mischung aus Informationssammlung, Diskurs und Umsetzung. Auf solche Weise können neue Strukturmodelle entstehen, wie sie in Schulen, Behörden oder Unternehmen Vorteile im täglichen Ablauf bringen sollen. Der Unterschied zur quantitativen Umfragetechnik liegt hauptsächlich im Diskurs, aber auch in der gezielten Erhebung an einzelnen und kleineren Gruppen.
Es beschäftigt sich gegensätzlich zum quantitativen Experiment nicht mit dem Beweis vorgefertigter Thesen, sondern mit der Erforschung der Systematik von Strukturen und deren Wandel. Dabei müssen die Bedingungen gleich denen bei der deskriptiven Feldforschung möglichst naturbelassen sein.
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3.2.2 Die Erhebungsverfahren |
Wie Daten erhoben werden können und sollen, ist bereits durch die Wahl eines Forschungsdesigns grob umrissen. Konkret bleibt die Auswahl doch genügend flexibel. Die Erhebungsverfahren lassen sich in drei Kategorien gliedern:
Über diese Technik soll die größtmögliche Nähe zum Gegenstand erreicht werden. Sie kann eigenständig betrieben werden, ist zudem aber auch Bestandteil anderer Erhebungsverfahren, da der aufmerksamen Beobachtung große Bedeutung für die qualitative Sozialforschung beigemessen wird. Man könnte sagen, daß ohne sie der Wert der qualitativen Sozialforschung nur halb so groß wäre. Wichtig zu beachten ist das Vorgehen, denn die natürliche Belassenheit der Situation und das möglichst wenig dominierende Auftreten des Beobachtenden sind notwendig, um realitätsnahe beobachten zu können. Als Beobachtungsgegenstände können sowohl Alltagssituationen und Gruppendiskussionen, als auch Interviews herhalten. Auch ist das Mitwirken des Beobachters nicht untersagt. Somit ist auch ein allgemeiner Leitfaden zugelassen.
An ihr soll das Funktionieren der Gruppe und die Gruppenhaltung erforscht werden. Dazu wird die Gruppe bei der Erörterung einer Thematik beobachtet. Der Beobachter hat die Möglichkeit, mitzuwirken und gemäß eines Leitfadens einzulenken. Er sollte sich allerdings möglichst zurückhalten, um der Entwicklung der Dynamik nicht im Wege zu stehen.
Es gibt eine Vielzahl an Verfahren, von denen einige im Anhang aufgeführt werden. Sie können sowohl in der Gruppe als auch am Einzelnen durchgeführt werden. Ihre Abgrenzung zur Gruppendiskussion liegt darin, daß das Festhalten von Aussagen zum Thema im Vordergrund steht, die Gruppendynamik also nicht vordergründig, sondern nur, falls für die Aussagen entscheidend, miteinbezogen wird.
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3.2.3 Analytische Verfahren (mit integrierter Erhebung) |
Die Art der Auswertung hängt sehr davon ab, welche Ergebnisform erwünscht ist. Es werden ein paar Beispieltypen aufgeführt:
Mayring sieht in ihr eine idealtypische Methode, welche Erhebung und Auswertung miteinander verknüpft. Die zugrundeliegende Arbeitsweise wird "stop and memo" genannt, da der Forschende bereits während der Erhebung an der Ergebnisausfeilung arbeitet und bei wichtigen Informationen innehält und notizweise neue Gedanken und ihm dabei einfallende Herangehensweisen festhält. Dieses Vorgehen ermöglicht am besten die beiläufige Ergebniskontrolle, sowie Verlaufskorrektur. Sie ist allerdings mit einem hohen Maß an Konzentration verbunden, wie es bei der Tonbandaufzeichnung nicht unbedingt gegeben sein muß, da sie die Erarbeitung im Nachhinein ermöglicht. Allgemein sollte allerdings bei jeder qualitativen Forschung nebenher mitgeschrieben und gefeilt werden, da dies für das Ergebnis von großer Bedeutung sein kann.
Hierbei geht es um die Kommunikation selbst, d.h. der Inhalt, die Meinungen und Haltungen spielen keine Rolle, sondern die Art und Weise der Kommunikation selbst. Dabei werden die einzelnen Verhaltensweisen während des Gespräches bemerkt und soweit nach festgelegten Strukturen aufbereitet, bis die Teilnehmer sie für geklärt erachten. Das Ziel ist es, tiefergreifenderes über die Interaktionsmuster zwischen Menschen und ihre Entstehung zu erfahren. Dabei spielen nonverbale Faktoren eine zentrale Rolle.
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3.2.4 Analyse (nach der Erhebung oder anhand fremden Textmaterials) |
Sie ist die wohl bekannteste Analyseform. Bei ihr werden Textmaterialien ausgewertet. Dabei stehen drei Verfahren zur Verfügung, die Zusammenfassung, die Explikation und die Strukturierung. Sie werden im Beispiel näher erläutert.
Sie soll anhand des erhobenen Materials die subjektive Ansichtsweise des Beforschten, welche Aufschluß über die Sichtweise zur Gesellschaft geben soll, möglichst genau umschreiben. Dazu wird im Team gearbeitet, so daß die einzelnen Deutungen miteinander verglichen werden können. Anschließend wird das Ergebnis mit dem Beforschten besprochen. Dieses Vorgehen wird kommunikative Validierung genannt.
Mit ihr wird versucht, verborgene und verdrängte Inhalte anhand der Aussagen hervorzubringen und ihre gesellschaftliche Relevanz herauszufinden. Sie kann bei Therapien eingesetzt werden, aber auch bei der Analyse politischer Denkstrukturen in Konfliktländern, sowie in der Kriminalistik.
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3.3 Differenzierung eines Ablaufes anhand des qualitativen Interviews |
Wenn sich dem Forscher eine Frage aufdrängt, ist er noch weit von einer Erhebung entfernt. Hat er auch bereits ein Forschungsdesign im Visier, so bedarf es zunächst eines genauen Umrisses der Frage, damit in entsprechender Fachliteratur ein Überblick zum Thema gewonnen werden kann. Durch das Erarbeiten fremden Materials und etwaige eigene Gespräche wandelt sich die Fragestellung bis zu einem Punkt, an dem anscheinend eine nicht mehr ohne die eigene Erhebung aufhebbare Stagnation eintritt. An diesem Punkt kann der Forscher sein Motiv neu überprüfen, denn inzwischen sind ihm die Grenzen und die kritikwürdigen Aussagen des vorgelegenen Wissens bekannt. Der dem Motiv zugrundeliegende Ausschnitt des ausgewerteten Materials wird mit dem Frageansatz versehen festgehalten.
Nun muß sich der Forschende eine Struktur ausdenken, welche es ihm erlaubt, während des Interviews zu verfolgen, ob das Interview die Informationen erbringt, nach denen geforscht wird. Das Erstellen dieses Leitfadens bedarf der Übung. Es ist wichtig, daß der Untersuchende in der Lage ist, innerhalb des Themas eine "topographische Ordnung" herauszusehen, um die zentralen Punkte, deren Unterpunkte und wichtige Verknüpfungsebenen ermitteln und für sich sinnvoll und mit Wiedererkennungswert festhalten zu können. Ein Leitfaden sollte möglichst vor der eigentlichen Erhebung in Probe-Inerviews getestet und nachträglich geschliffen werden. Der Umfang und die Komplexität des Leitfadens sollten gemeinsam mit der Methode der Erhebung gewählt werden.
Für die Erhebung sind drei Begriffsebenen zu klären, die auch für den Leitfaden von Bedeutung sind:
Es ist zunächst zu entscheiden, inwieweit es sich um ein standardisiertes Interview halten soll. Die Standardisierung kann vom qualitativen Befragen wieder zum quantitativen Befragen führen. Umgekehrt können Aussagen nicht mit Aussagen aus anderen Interviews verglichen werden. Der Mittelweg liegt bei einem semistrukturierten Interview, bei dem der Leitfaden entsprechend genau vorstrukturiert, aber nicht konsequent durchgedrückt, sondern dem Gespräch angepaßt wird. Die Vergleichbarkeit wird bei der Analyse aus den Aussagen des Interviewten ermittelt. Dazu bedarf es sowohl des Feingefühls bei der Gesprächslenkung während des Interviews, als auch der Objektivität bei der Analyse. Ein solches Interview ist das "problemzentrierte Interview". Ein gänzlich unstandardisiertes wird "narratives Interview" genannt. Doch dazu im Anhang.
Hat man sich für diese erste Zuordnung entschieden, geht daraus bereits hervor, inwieweit ein strukturiertes Interview zu wählen ist. Bei einem narrativen Interview wäre eine Vorstrukturierung sinnlos, denn sie käme nicht zum Tragen. Bei einem problemzentrierten Interview läßt sich durchaus schon eher eine grobe Einteilung festlegen, wie z.B.das Aufschieben von Angesprochenem auf einen anderen Zeitpunkt im Gespräch. Schwierig, wenn auch aus disziplinären Gründen notwendig, wird die Strukturierung bei Interviews mit mehreren Beteiligten, wie auch bei Gruppendiskussionen.
Anhand der zwei oberen Kriterien läßt sich erkennen, inwieweit ein offenes Befragen sinnvoll ist oder nicht. Wenn ein Interview sehr standardisiert und strukturiert ist, muß der Interviewer sich streng an seinen Leitfaden halten. Die Aussage umrahmendes wird nur gering betrachtet. Man sieht solche Extrembeispiele bei Fernseh-Magazinen, in denen der Moderator den Gast kaum ausreden läßt und ihn von einem Punkt zum anderen schiebt, schließlich aus Zeitmangel abbricht. Das qualitative Denken verfolgt nun den Standpunkt, daß der Interviewte seine Meinung optimal nur selbst und in einer unbeeinflußten Situation entfalten kann. Hierzu darf sich der Interviewer nur wenn dringend notwendig lenkend einbinden. Beim narrativen Interview soll ein Eingreifen ganz verhindert werden. Der Interviewer achtet lediglich auf den sogenannten "roten Faden", ob das eigentliche Thema nicht bereits entschwunden ist, läßt den Interviewten ansonsten frei berichten, ohne konzeptionelle Einwände zu äußern.
Das Ziel der Transkription ist kurz genannt: Die Aufzeichnungen sollen in ein einheitliches Protokoll übertragen werden. Es bietet sich dabei an, gleich eine erste Reduktion des protokollierten auf Wesentliches durchzuführen.
Die Problematik dabei resultiert aus dem Ablauf von Interviews. Die Aufzeichnungen bieten nicht zwangsläufig bereits sinnvoll strukturiertes. Auch die Aufarbeitung nonverbaler Inhalte, deren Zuordnung aussagekräftig erfolgen muß, darf nicht eben so erfolgen. Die Reduktion ist daher mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Ein Gedächtnisprotokoll unmittelbar nach dem Interview kann bei der Auswertung Zeit ersparen.
Um bei der Reduktion den Gesprächsinhalt und -eindruck nicht zu sehr von seiner Ursprünglichkeit zu entfremden, werden die Auszüge mit Hilfen, wie das internationale phonetische Alphabet (zur Darstellung der Dialektik) und die Kommentierung (zur Beschreibung von Pausen und Stimmänderungen) versehen. Bei parallel verlaufenden Aussagen hilft die Arbeitstranskription, bei der die Aussagen durch Pfeile verbunden nebeneinander in originaler Folge aufgeschrieben werden. Dadurch ergibt sich eine Art Ablaufdiagramm.
Vor der Analyse ist noch einmal die zugrundeliegende Frage zu überdenken. Das Ziel der Analyse sollte feststehen. Dementsprechend wird eine der drei Methoden Zusammenfassung, Explikation oder Strukturierung gewählt.
Bei der Zusammenfassung wird auf das Notwendige gestrafft. Das Festhalten des Interview-Verlaufs und -Ergebnisses steht im Vordergrund. Wiederholungen und Redundantes werden gestrichen. Das Übrigbleibende wird nach einem vorher definierten Kategoriensystem, das eine schlüssige Gliederung des Interviews ergeben soll, geordnet und mit einleitenden Daten versehen niedergeschrieben. Solche Kategorien können z.B. lauten: Einleitende Feststellungen - Eingrenzung der persönlichen Tendenz; Grundsätzliche Aussagen zu Punkt 1... 2... n.; Erste Stellungnahme; Erweiternde Perspektiven; Abschließende Stellungnahme; Nicht geklärte Fragen; Weiterführende Fragen; Resümé...
Bei der Explikation wird genau umgekehrt verfahren. Misverständliche, nicht genügend ausgeführte, im Zusammenhang mit nonverbaler Kommunikation zu betrachtende Textstellen werden vom Forschenden näher ausgeführt. Eindrücke, Erklärungen und dergleichen finden Platz bei dieser Analyse. Sie ist gerade dann von Bedeutung, wenn neben den Aussagen die interviewte Person selbst, ihre Persönlichkeit, Preisgabe von Milieu und Sozialisation, ihr Lebensgefühl oder dergleichen, von Interesse ist.
Die Strukturierung lehnt sich methodisch an die Zusammenfassung an, richtet sich bei der Kategorienbildung jedoch nicht nach dem Interview-Verlauf und den gefällten Aussagen, sondern nach einer vorgefertigten Struktur, welche sich aus einer konkreten Fragestellung und Zielsetzung ergibt. Hier erscheint das Ziel abgelöst von dem eigentlichen Interview. Wenn das Thema jedoch stärker standardisiert geplant war, ist eine nachträgliche Ummünzung des realen Verlaufes auf das gewünschte notwendig.
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4 Abschließend |
Der besondere Stellenwert und die unterschiedliche Betrachtung des Forschungsobjektes,
sowie die Vielzahl der Methoden und ihrer oft wagen Untergliederungen lassen
in diesem Aufsatz nur einen Abriß qualitativer Sozialforschung zu.
Zu erkennen ist, daß sie in ihrer Betrachtung des Gegenstandes mehr
um das hintergründige Wissen bemüht ist. Desweiteren läßt
sich erkennen, daß dieses Verfahren keine Wundermethode ist, denn
der Gegenstand der Betrachtung ist nicht einfach zu analysieren und verlangt
viel Können, Erfahrung und Geschick vom Forschenden. Übung ist
hier also ein notgedrungener Begleiter, der von Fragestellung zu Fragestellung
wieder ganz von neuem seinen Stellenwert beweisen kann. Anhand der Genauigkeit
des Vorgehens entscheidet sich bereits erheblich die Qualität des
Ergebnisses. Verrechnungen von Datenmaterial oder leichtfertiges wegfallen
lassen können Aussagen erheblich mehr als bei der quantitativen Methodik
verzerren. Dabei nun typische, also doch wieder allgemeingültige Aussagen
herauszufiltern, ist eine hohe Kunst, denn jene Aussagen ergeben sich nicht
mathematisch und durch die hohe Anzahl der Testpersonen. Das Geschick der
korrekten Deutung bedeutet also auch ein gutes Vorwissen über Erhebungen
ähnlicher Art, den Menschen allgemein, benötigt ebenso den Austausch
unter Kollegen, um nicht mit der eigenen Ansicht fehl zu schlagen. Im Anhang
werden noch ein paar Tips für die eigene Kontrolle gegeben.
Anhang
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A Hilfreiches zur Kontrolle der Qualität der Forschung (Mayring) |
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B Interviewtypen (Handbuch Qualitative Sozialforschung) |
Teilstandardisierte Interviews
Sie werden häufiger auch als teilstrukturierte, semistrukturierte oder auch Leitfaden-Interviews bezeichnet. Diese Interviews können im Einzelfall sehr unterschiedlich sein: Sie können sich über mehrere Termine hinziehen, in ihren Frage- oder Themenvorgaben - dem Gesprächsleitfaden - sehr ausführlich oder sehr knapp sein, den Befragenden weitgehende Freiheiten in der Gestaltung der Frageformulierungen, der Frageabfolge oder Streichung von Fragen konzedieren oder nicht u. a. Entscheidend für die Abgrenzung zu standardisierten Interviews ist, daß es im Interview keine Antwortvorgaben gibt und daß die Befragten ihre Ansichten und Erfahrungen frei artikulieren können. In der Regel werden die Intervie-werinnen und Interviewer bei teilstandardisierten - auch bei relativ stark strukturierten Interviews zugleich dazu aufgefordert, die im Leitfaden vorgegebenen Fragen nach eigenem Ermessen und nach Einschätzung des theoretischen Anliegens der jeweiligen Studie durch klärende Nachfragen zu ergänzen und Gesichtspunkte aufzugreifen, die von den Befragten unabhängig vom Gesprächsleitfaden in die Interviewsituation eingebracht werden, sofern diese im Fragekontext der Untersuchung als bedeutsam erscheinen (vgl. zu Problemen hierbei u. a. Hopf, 1978; Hoffmann-Riem, 1980, S. 357 ff.; Schumann et al., 1982, S. 43 ff.).
Einzelne Varianten teilstandardisierter Interviews sind unter anderem: Struktur- oder Dilemma-Interviews, klinische Interviews, biographische Interviews oder problemzentrierte Interviews.
Sie sind im Vergleich zu anderen teilstandardisierten Interviews in Fragevorgaben und -abfolge relativ festgelegt (vgl. hierzu z. B. Reinshagen et al., 1976, S. 3ff.). Sie entwickelten sich als Interview-Varianten in der Piaget-Kohlberg-Tradition und dienen insbesondere der Erfassung unterschiedlicher Stufen moralischen Urteilens oder entwicklungsbedingter Unterschiede in der Fähigkeit zur sozialen Perspektivenübernahme. In Dilemma-Interviews wird versucht, auf der Basis von Stellungnahmen zu Erzählvorgaben, die auch filmisch dargeboten sein können, Urteilsstrukturen zu erfassen. In den Erzählvorgaben werden Entscheidungsprobleme, Dilemmata, offeriert, zu denen die Befragten nicht allein Lösungen, sondern, was wichtiger ist, Begründungen für ihre jeweiligen Lösungen entwickeln sollen. Ein fester Katalog von Nachfragen, die durch klärende Zusatzfragen frei ergänzt werden können, soll gewährleisten, daß die theoretisch interessierenden Aspekte des jeweiligen Entscheidungsproblems voll ausgelotet werden. Die Befragenden bei diesen Interviews müssen in zwei Kompetenzbereichen, die bei qualitativen Interviews in der Regel von großer Bedeutung sind, in besonderem Maße sicher sein: Sie müssen theoretische Kompetenzen - die Kenntnis des Ansatzes, die Fähigkeit zu spontanem Kodieren und theoretisch gesteuerten Nachfragen - mit großer sozialer Kompetenz verbinden. Hoff et al. (1983 I, S. 260 f.) erläutern dies, die eigenen Interviewerfahrungen selbstkritisch kommentierend, wie folgt:
"Häufig haben wir einfach nicht hinreichend sondiert, nicht lange genug gebohrt, uns mit oberflächlichen Antworten zufriedengegeben, tieferliegende Begründungen und fundamentale Überzeugungen der Befragten auf sich beruhen lassen, unter anderem auch gar nicht erst versucht, sie in Widersprüche zu verwickeln. In anderen Fällen dagegen haben wir allzu penetrant, vor allem auch allzu direkt oder sogar suggestiv - z. B. durch die Vorgabe einzelner stufenspezifischer Begründungen bestimmter Lösungen bestimmter Probleme oder Konflikte - nachgefragt, so daß der Schluß von den dadurch stimulierten Antworten auf die moralische Urteilsfähigkeit der betreffenden Lehrabsolventen sehr riskant erscheint."
Sie sind ursprünglich Teil der klinischen und therapeutischen Praxis und dienen dort - in unterschiedlichen Graden der Strukturiertheit (vgl. Davison & Neale, l988, S. 108f.) - der Diagnose und Interpretation von Erkrankungen (vgl. zu klinischen Interviews zu Beginn psychoanalytischer Behandlungen Argelander, 1970). Aber auch in nicht-therapeutischen, primär forschungsbezogenen Kontexten wird der Begriff des klinischen Interviews verschiedentlich verwandt, so unter anderem in den Untersuchungen zur "autoritären Persönlichkeit". Er bezieht sich dort auf die Exploration des familiären und sozialen Hintergrundes autoritärer und nicht-autoritärer Befragter. Insbesondere für Psychologen ist der Begriff des "klinischen Interviews" vielfach ein Sammelbegriff für nicht-standardisierte Erhebungsformen, etwa in Abgrenzung zu Testverfahren, und wird in diesem Sinne beispielsweise auch in der entwicklungspsychologischen Forschung verwandt (vgl. z. B. Selman, 1980/1984, S. 90ff.).
Sie sind neben vielen anderen Möglichkeiten, insbesondere der Dokumentenanalyse, ein Zugang zur Erschließung von Lebensgeschichten. Fuchs (1984, S.218f.) weist darauf hin, daß es sinnvoll ist, die Form des teilstandardisierten biographischen Interviews mit der des narrativen Interviews zu verbinden, was dann besonders leicht möglich ist, wenn es mehrere Interviewtermine mit einzelnen Befragten gibt.
Mit diesem Begriff bezeichnet Witzel (1982, S. 66 ff., 1985) eine Interview-Variante, die eine sehr lockere Bindung an einen knappen, der thematischen Orientierung dienenden Leitfaden mit dem Versuch verbindet, den Befragten sehr weitgehende Artikulationschancen einzuräumen und sie zu freien Erzählungen anzuregen. Problemzentrierte Interviews können als Kompromißbildungen zwischen leitfadenorientierten und narrativen Gesprächsformen angesehen werden, wobei die Begriffswahl "problemzentriert" (vgl. Witzel, l985, S. 230 ff.) kaum trennscharf ist: Denn wer möchte schon darauf verzichten, problembezogene Interviews zu führen?
Nicht standardisierte Interviews
Die Form des fokussierten Interviews wurde in den vierziger Jahren im Zusammenhang mit Kommunikationsforschung und Propagandaanalyse von Robert Merton, Patricia Kendall u. a. entwickelt (vgl. Merton & Kendall, l946; Merton et al., l956). Zentral für diese Interviews ist die Fokussierung auf einen vorab bestimmten Gesprächsgegenstand bzw. Gesprächsanreiz - wie etwa einen Film, den die Befragten gesehen haben, einen Artikel, den sie gelesen haben, eine bestimmte soziale Situation, an der sie teilhatten und die auch den Befragenden bekannt ist, u. a. und der Versuch, Reaktionen und Interpretationen im Interview in relativ offener Form zu erheben.
Fokussierte Interviews sind in ihrer ursprünglichen Form Gruppeninterviews (vgl. zu ihrer Beziehung zu Gruppendiskussionsverfahren Mangold, 1960, S. 12 f., sie sind jedoch nicht an die Gruppensituation gebunden. In ihrer Fokussierung auf vorab definierte Gesprächsgegenstände ähneln sie den Struktur- oder Dilemma-Interviews und, da ihnen - allerdings flexibel eingesetzte - Gesprächsleitfäden zugrunde liegen, könnte man sie auch als Spezialform teilstandardisierter Interviews ansehen. Sie sind jedoch in der Anregung freier, auch assoziativer Stellungnahmen zu den Gesprächsgegenständen offener als beispielsweise die Struktur-Interviews. Denn ein Ziel fokussierter Interviews ist es ja gerade, die Themenreichweite zu maximieren und den Befragten die Chance zu geben, auch nicht-antizipierte Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen (vgl. Bortz, 1984, S. 231ff.).
Als neuere Varianten fokussierter Interviews können solche Interviews gelten, in denen Aufzeichnungen zum Tagesablauf oder auch komplexere persönliche Dokumente zum Gesprächsgegenstand gemacht werden (vgl. Zimmermann & Wieder, 1977; Zeiher & Zeiher, 1988), oder Interviews, die im Rahmen teilnehmender Beobachtung durchgeführt werden, in denen spezifische gemeinsam erlebte Situationen abgehandelt werden, z. B. Unterrichtssituationen in Interviews mit Lehrern oder Schülern in der Unterrichtsforschung (vgl. Harveaves et al., 1981, S. 59ff ).
Zu den Vorteilen fokussierter Interviews gehört die Möglichkeit, eine sehr zurückhaltende, nicht-direktive Gesprächsführung mit dem Interesse an sehr spezifischen Informationen und der Möglichkeit zur gegenstandsbezogenen Explikation von Bedeutungen zu verbinden.
Daß allerdings auch bei fokussierten Interviews die Interviewpraxis im Vergleich zum theoretischen Anspruch zum Teil zu wünschen übrigläßt, ist von Merton und Kendall (1946) in einer sehr materialreichen und instruktiven Analyse einzelner Interviewsequenzen herausgearbeitet worden (vgl. hierzu auch Hopf, 1978).
Diese Form des Interviewens ist von F. Schütze im Zusammenhang mit einer Studie über kommunale Machtstrukturen entwickelt worden (vgl. Schütze, 1977; Hermanns, 1982) und wird besonders häufig im Zusammenhang mit lebensgeschichtlich bezogenen Fragestellungen eingesetzt. Dabei wird der Begriff des "narrativen Interviews" in der Forschungspraxis zum Teil recht weit gefaßt und mitunter auch als Kürzel für teilstandardisierte biographische Interviews verwandt. In der ursprünglichen Form ist dies jedoch nicht vorgesehen, sondern Grundelement des narrativen Interviews ist die von den Befragten frei entwickelte, durch eine Eingangsfrage - die "erzählgenerierende Frage" - angeregte Stehgreiferzählung.
In autobiographisch-narrativen Interviews steht neben der Erzählung und dem Nachfrageteil ein dritter Hauptteil des Interviews, der auch als Bilanzierungsteil bezeichnet wird (vgl. Hermanns, 1982, S. 64f.; Schütze, 1983). In ihm werden die Befragten in stärkerem Maße als Experten und Theoretiker ihrer selbst angesprochen und auf abstrakter Ebene zu Generalisierungen und Selbstinterpretationen befragt, sofern solche abstrakteren Selbstdeutungen im Erzählteil bereits angelegt waren.
Interviews, in denen die Befragten primär als Theoretiker und Experten ihrer selbst, ihrer Geschichte und ihrer Eigenheiten angesprochen werden und die der kommunikativen Verständigung über Deutungen dienen, sollen hier als "diskursive" bezeichnet werden. Als Gesprächsform haben sich solche Interviews in der Tradition der Aktionsforschung und in der handlungstheoretisch orientierten Psychologie entwickelt. Zentrales Anliegen diskursiver Interviews ist es, die Deutungen oder Sachverhaltsdarstellungen, die von den Forschern und Forscherinnen auf der Grundlage vorangehender Gesprächskontakte entwickelt wurden, im erneuten Gespräch mit den Befragten auf ihre Stichhaltigkeit und subjektiv wahrgenommene Adäquatheit hin zu überprüfen bzw. "kommunikativ zu validieren" (vgl. als Beispiele u. a. Staudinger, 1984, S. 73ff.; Flick, 1990, S. 122 ff.). In diesen Interviews, in denen die Deutungen zum Teil in schriftlicher Form, zum Teil mündlich dargelegt werden, soll insbesondere versucht werden, die Interpretationen der Forschenden zur Disposition zu stellen und die Befragten als Kooperatlonspartner in einem diskursiven Prozeß der Überprüfung von Aussagen anzusprechen.
Obgleich diskursive Interviews hier als eigene Interviewform vorgestellt werden, ist daran zu erinnern, daß es Elemente dieser Form auch in anderen Interviews gibt, zum Beispiel, wenn in teilstandardisierten oder auch narrativen Interviews Äußerungen der Befragten zusammengefaßt oder als These wieder aufgegriffen werden und gefragt wird, ob die Interviewten dies so gemeint haben bzw. ob man sie mit dieser oder jener Zusammenfassung richtig interpretiert hat. Auf die psychischen und sozialen Grenzen solcher Konfrontationen mit Deutungen sei hier nur knapp hingewiesen. Sie sind dann gegeben, wenn die Interpretationen als kränkend erfahren werden, oder wenn Sachverhalte angesprochen werden, die subjektiv zu schwierig oder zu bedrückend sind. H. Hermanns hat diese, bezogen auf das Problem der Analyse von Widersprüchen im Interview, erläutert und darauf hingewiesen, daß Forschende, die in der Regel keine therapeutischen Hilfen anbieten können, es vermeiden sollten, "den Interviewpartner in eine Lage zu bringen, in der dieser der Hilfe bedarf" (1982, S. 71).
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Literatur |
Arbeitskreis Qualitative Sozialforschung: "Verführung zum qualitativen Forschen - Eine Methodenauswahl", WUV-Universitätsverlag, Wien 1994
Flick, Uwe; v. Kardoff, Ernst; Keupp, Heiner; v. Rosenstiel, Lutz und Wolff, Stephan: "Handbuch Qualitative Sozialforschung", Psychologie Verlags Union, München 1991
Heinze, Thomas: "Qualitative Sozialforschung - Erfahrungen, Probleme und Perspektiven", Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1992
Mayring, Philipp: "Einführung in die qualitative Sozialforschung", Psychologie Verlags Union, 1990
Psychologie Verlags Union: "Die Feldtheorie und Kurt Lewin - Eine Einführung", Weinheim 1996